Wegen Migräne in der Sprechstunde

G. Jenzer / Februar 2013

Oft geht es nur schon etwas besser, wenn man endlich weiss, woran man leidet. Laut einer Studie aus Frankreich kennen etwas mehr als die Hälfte aller Migräne-Patienten den Namen ihrer elenden Plage vor der Feststellung durch kompetente Untersucher nicht. Die Zuordnung und Benennung eröffnet damit für viele von ihnen erstmals die hoffnungsvolle Aussicht auf den Neubeginn einer Geschichte, welche zuvor Jahre oder gar jahrzehntelang ihr Leben begleitet und zuweilen verdorben hat.

Bestehen Sie also auf der klaren ärztlichen Diagnosestellung. Diese verpflichtet die verantwortungsvoll Behandelnden - beim heutigen Stand des Wissens und Könnens - zu wirksamer Gegenwehr.

Dazu sollten Sie jedoch wissen, was Sie selber beitragen können: Migräne ist dem Wesen nach unverschuldet. Man hat sie einfach, während sie anderen erspart bleibt. Aber dennoch ist gerade bei diesem Leiden der Eigenbeitrag oft von einigem Nutzen.

Zum geeigneten Lebensstil gehören Regelmässigkeit, genügend Schlaf, körperliche Betätigung, häufiges jedoch massvolles Essen und Trinken, sowie das Vermeiden von besonderen Belastungssituationen wie intensiven Lichtwirkungen, auf welche das für Migräne typische „übererregbare“ Gehirn speziell empfindlich ist.

Als kritische Situationen gelten auch grosse emotionale Belastungen aller Art. Dass gerade diese nicht immer zu umgehen sind, versteht sich von selbst. Es wäre überhaupt reine Illusion zu meinen, nur dieses oder jenes zu tun oder zu lassen genüge, um so mit dem bösen Übel ganz alleine fertig zu werden. Dass man sich à la Baron von Münchhausen am eigenen Schopf aus dem Sumpf zieht, funktioniert ja erfahrungsgemäss bei einem bereits richtig in Gang gekommenen Migräneanfall ganz und gar nicht.

Unangebracht also, sich mit Händen und Füssen zu wehren, wenn Hilfe angeboten wird. Volles - nicht etwa blindes - Vertrauen ist angesagt. Dazu gehört ganz besonders die möglichst genaue Befolgung der Medikamenteneinnahme. Wenn Sie die Ratschläge befolgt haben, dürfen und müssen Sie sich in der Sprechstunde in aller Offenheit und kritisch zu den Vor- und allenfalls auch Nachteilen der getroffenen Massnahmen äussern, denn gerade Ihre Erfahrungen bilden die Grundlage für weitere Entscheidungen.

Wie Sie bis zur Genüge erleben mussten, verläuft jede unbehandelte Migräneattacke irgendwie gleich, aber doch auch meistens wieder etwas anders. Unter der Wirkung von  Migräneanfalls-Medikamenten werden diese Unterschiede in aller Regel auf positive Weise sehr viel deutlicher. Wenn nämlich die passenden Mittel in der angemessenen Dosierung, zum richtigen Zeitpunkt eingenommen werden und auch akzeptabel verträglich sind, erweisen sich die Attacken als wesentlich verkürzt, die Schmerzen beseitigt oder stark abgeschwächt und die Lebensqualität erheblich gebessert. Diese erste Zielsetzung einer wesentlichen Erleichterung des einzelnen Migräneanfalls muss erreicht werden, was jedoch nicht immer gerade auf Anhieb gelingt.

Als zweites Ziel soll im Sinne von Vorbeugung eine Verminderung oder ein Verschwinden der Anfälle angestrebt werden. Zum einen spielt hier das eigene Verhalten eine Rolle, zum andern aber auch oft und entscheidend der gezielte Einsatz verschiedener Medikamentenkategorien. Es ist wichtig zu wissen, dass die meisten dieser vorbeugenden Medikamente bei einem bereits eingetretenen Anfall nicht helfen. Hingegen vermögen sie als eine Art Schutzwall weitere Krisen aufzuhalten. Dies bedingt allerdings eine regelmässige Einnahme, also längerfristig und als Prophylaxe. Je weiter entfernt der letzte Anfall in Ihrer Erinnerung liegt, werden Sie dann zunehmend die Einnahme hinterfragen, weil es Ihnen ja gut geht. Ihre Motivation wird umso fragwürdiger, sofern noch Nebenwirkungen hinzukommen. Um das Resultat Ihrer Bemühungen festzuhalten, eignet sich das Führen eines Kopfschmerz-Tagebuchs. Dieses stellt in der Sprechstunde eine überaus wertvolle Grundlage für die weitere therapeutische Orientierung dar.

Die moderne Migränebehandlung gehört zu den wichtigen medizinischen Errungenschaften der letzten Jahre. Die hinzugewonnenen Erkenntnisse über zweckmässiges Verhalten, im Einklang mit der Verwendung von Anfalls- wie Vorbeugungsmedikamenten, eröffneten neue Perspektiven. Die breite Palette der Medikamente bedarf einer fallweisen Anpassung in Art und Dosierung, erwünschte und unerwünschte Effekte sind gegeneinander abzuwägen. Die Auswahl ist so gross - und demzufolge auch Ihre persönliche Mitwirkung so entscheidend - wie nie zuvor!