Fachartikel zum Thema Kopfschmerzen
Im Folgenden finden Sie eine Auflistung durch Fachspezialistinnen und Fachspezialisten verfasster Artikel.
Kopfschmerzen - wie weiter?
Mark J. Emmenegger, Peter S. Sandor, Mathias Sturzenegger, Andreas R. Gantenbein
Mitglieder des Vorstandes und der Therapiekommission der Schweizerischen Kopfwehgesellschaft (SKG)
Artikel erschienen in der praxis arena, Ausgabe 07/2013
Den ganzen Bericht lesen Sie hier.
Cluster-Kopfschmerzen
Kleinschmidt A / Mai 2020 (auf der Grundlage früherer Versionen von M. Mumenthaler, C. Dozier, A. Gantenbein)
„Cluster“-Kopfschmerz ist mindestens eine Grössenordnung seltener als Migräne. Er betrifft häufiger das männliche Geschlecht und besonders Raucher. Der Krankheitsbeginn liegt im Allgemeinen im mittleren oder sogar fortgeschrittenen Lebensalter. Man findet nicht selten in der Familienanamnese weitere Kopfschmerzpatienten, in 7% ebenfalls Cluster-Kopfschmerz. Als Ursprung der Erkrankung wird eine hypothalamische Dysfunktion vermutet und eine genetische Veranlagung ist wahrscheinlich.
Die Attacken beginnen charakteristischerweise mit einem Schmerz im Bereich von Schläfe und Auge und betreffen also Gesichts- und Schädelbereich. Sie sind ohne Ausnahme streng einseitig, aber im Krankheitsverlauf kann selten die Seite wechseln. Die Attacken dauern zwischen 15 Minuten und 3 Stunden und treten mindestens jeden zweiten Tag und bis zu 8 Mal pro Tag auf. Es ist nicht selten, dass die Attacken sich regelhaft zu bestimmten Zeitpunkten insbesondere während der Nacht manifestieren. Während der Attacken ist der betroffene Patient die betroffene Patientin agitiert und motorisch unruhig mit Umhergehen oder anderen Aktivitäten. Die Schmerzintensität nimmt rasch zu und erreicht ihr Maximum in 20 Minuten. Der Schmerz wird als unerträglich und deutlich stärker als jeder andere bekannte Schmerz beschrieben, es handelt sich um ein „suizidales“ Kopfschmerzleiden.
In der episodischen Verlaufsform, die den Namen als „Cluster“-Kopfschmerz geprägt hat, kommt es während mindestens einer Woche und höchstens einem Jahr zu Attacken, bis ein freies Intervall von mindestens drei Monaten eintritt. Der Übergang zu einer chronischen Verlaufsform, bei der kein solch freies Intervall mehr besteht, ist nicht selten und die Krankheit kann auch von Anbeginn einen chronischen Verlauf annehmen. Assoziation mit z.B. Migräne und auch Übergangsformen zwischen beiden Erkrankungen sind beschrieben.
Der Anblick einer Patientin / eines Patienten während einer Attacke ist charakteristisch: Auf der betroffenen Seite ist das Auge gerötet und tränt, die Nase ist einseitig verstopft oder läuft, die Pupille ist verengt und wegen einer Ptose und/oder einer Lidschwellung die Augenspalte verengt.
Für die Attackenbehandlung kommen in Betracht die Gabe von 100%-igem Sauerstoff (1215 Liter/Minute während 15-20 Minuten über eine „non-rebreather“ Maske) oder von Triptanen durch subkutane Injektion (Sumatriptan 6 mg) oder, mit geringerer Wirksamkeit, durch Nasenspray (Sumatriptan 20 mg oder Zolmitriptan 5-10 mg). Vor kurzem wurde auch nur für die episodische Verlaufsform die nicht-invasive elektrische Stimulation des ipsilateralen Halsastes des Vagusnerven als wirksam beschrieben (Silberstein et al., 2016; Goadsby et al., 2018).
Die erste Wahl in der prophylaktischen Behandlung ist Verapamil mit einer Tagesdosis von 240 bis maximal 960mg. Da die Aufdosierung langsam erfolgen muss (240 mg/d zu Beginn mit Erhöhung um 80mg/d alle 2 Wochen) und häufige EKG-Kontrollen (Verlangsamung atrioventrikulärer Übertragung) erforderlich sind, kann man „off-label“ zu Beginn eines „Clusters“ eine vorübergehende Behandlung mit Prednison oder einem Triptan langer Wirksamkeit vornehmen.
Eine weitere Alternative ist eine lokale Infiltration des N. occipitalis major mit einer Mischung aus Kortison und Lokalanästhetikum (z.B. Leroux et al., 2011). Die Alternativen zweiter Wahl in der medikamentösen Prophylaxe sind Lithium, das wegen seiner engen therapeutischen Breite schwer zu steuern ist, und Antikonvulsiva wie besonders das Topiramat (100-200 mg/j). Einige Patienten/einige Patientinnen scheinen auch auf hohe Dosierungen (10-25 mg/d) von Melatonin anzusprechen. In Bezug auf neuromodulierende Verfahren gibt es Hinweise auf eine auch prophylaktische Wirkung der nicht-invasiven elektrischen Stimulation des Vagusnerven. Ein sehr wirksamer Ansatz beruht auf einer bedarfsgesteuerten Stimulation des Ganglion sphenopalatimum durch ein dauerhaftes Implantat, aber dieses Verfahren ist derzeit leider nicht mehr verfügbar. Die durchgehende elektrische Stimulation des N. occipitalis major durch ein Implantat mag für manche medikamentös refraktäre Patientinnen und Patienten eine hilfreiche Alternative darstellen. In solchen refraktären Ausnahmefällen kann auch eine hypothalamische tiefe Hirnstimulation erwogen werden.
Zu guter Letzt sind zu erwähnen die derzeit untersuchten biologischen Ansätze mit der üblicherweise monatlichen subkutanen Injektion von monoklonalen Antikörpern, die auf die Antagonisierung des CGRP-Systems zielen und in der Behandlung der Migräne bereits sehr klare Wirksamkeit bewiesen haben. Eine erste Studie hat eine Wirksamkeit eines solchen Antikörpers (Galcanezumab) für die episodische Variante mit dem Kopfschmerz im „Cluster“Verlauf gezeigt. Die Dosierung in dieser Studie lag allerdings über der derzeit in der Schweiz für die Migränebehandlung zugelassenen Form dieses Medikamentes.
Neue Substanzen zur Akuttherapie und Prophylaxe der Migräne
Ch. Schankin / Mai 2020
Seit 2018 wurden in der Schweiz drei monoklonale Antikörper gegen das Calcitonin-Gene Related Polypeptide (CGRP)-System zur Prophylaxe von Migräne zugelassen. CGRP ist ein vasodilatatorisch wirksames Peptid (1), dessen Spiegel im Blut in Migräneattacken erhöht ist (2) mit Normalisierung bei erfolgreicher Behandlung mit Sumatriptan (3), und das selbst Migräneattacken in Migränepatientinnen und Migränepatienten auslösen kann (4). Der Antikörper Erenumab (Aimovig ®) bindet den CGRP-Rezeptor, die Antikörper Galcanezumab (Emgality ®) und Fremanezumab (Ajovy ®) den Liganden. In extensiven Studienprogrammen konnte für alle drei Antikörper Wirksamkeit zur Migräneprophylaxe nachgewiesen werden (5-7). Die Antikörper werden subkutan, etwa monatlich injiziert. Nebenwirkungen sind gering und entsprechend die Akzeptanz durch Patientinnen und Patienten hoch. Aufgrund der hohen Kosten, müssen Limitationen erfüllt sein: Patientinnen und Patienten müssen mindestens 8 Migränetage/Monat und bereits mehrere orale Prophylaktika versucht haben (z.B. Betablocker, Antiepileptika, Calciumantagonisten). Die Antikörper dürfen nur von Neurologinnen und Neurologen verschrieben werden.
Neben Antikörpern gibt es auch CGRP-Rezeptor-Blocker, sogenannte Gepante, die zur Akuttherapie von Migräneattacken gedacht sind. CGRP-Rezeptor-Blocker sind selbst nicht vasokonstriktiv und daher als Alternative für Triptane bei vaskulären Risikopatientinnen und Risikopatienten gedacht. Urbogepant ist wirksam (Schmerzfreiheit nach 2 Stunden: in der 100mg Dosis: 21.2% vs. 11.8% bei Placebo, (8)) und wurde 2019 in den USA zugelassen. Ob eine Zulassung in der Schweiz erfolgen soll, ist momentan noch unklar. Ebenfalls in Phase 3 Studien wirksam ist Rimegepant (9). Man untersucht sogar, ob Gepante bei täglicher Einnahme zur Migränevorbeugung eingesetzt werden können (Atogepant, Phase 2 Studie, NCT02848326).
Ebenfalls nicht vasokonstriktiv sind die 5-HT1F-Agonisten, sogenannte Ditane. Im Gegensatz zu den Triptanen fehlt bei Ditanen der Agonismus am 5-HT1B-Rezeptor, der für die Vasokonstriktion verantwortlich ist. Lasmiditan ist wirksam in der Akuttherapie der Migräne (10), in den USA bereits zur Akuttherapie der Migräne zugelassen und befindet sich aktuell weltweit in weiteren Phase 3 Studien (u.a. NCT03670810).
Literatur
1. McCulloch J, Uddman R, Kingman TA, Edvinsson L. Calcitonin gene-related peptide: functional role in cerebrovascular regulation. Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America 1986;83:5731-5735.
2. Goadsby PJ, Edvinsson L, Ekman R. Vasoactive peptide release in the extracerebral circulation of humans during migraine headache. Annals of neurology 1990;28:183-187.
3. Goadsby PJ, Edvinsson L. The trigeminovascular system and migraine: studies characterizing cerebrovascular and neuropeptide changes seen in humans and cats. Annals of neurology 1993;33:48-56.
4. Lassen LH, Haderslev PA, Jacobsen VB, Iversen HK, Sperling B, Olesen J. CGRP may play a causative role in migraine. Cephalalgia: an international journal of headache 2002;22:54-61.
5. Dodick DW, Silberstein SD, Bigal ME, et al. Effect of Fremanezumab Compared With Placebo for Prevention of Episodic Migraine: A Randomized Clinical Trial. Jama 2018;319:1999-2008.
6. Goadsby PJ, Reuter U, Hallstrom Y, et al. A Controlled Trial of Erenumab for Episodic Migraine. The New England journal of medicine 2017;377:2123-2132.
7. Stauffer VL, Dodick DW, Zhang Q, Carter JN, Ailani J, Conley RR. Evaluation of Galcanezumab for the Prevention of Episodic Migraine: The EVOLVE-1 Randomized Clinical Trial. JAMA neurology 2018;75:1080-1088. 8. Dodick DW, Lipton RB, Ailani J, et al. Ubrogepant for the Treatment of Migraine. The New England journal of medicine 2019;381:2230-2241.
9. Croop R, Goadsby PJ, Stock DA, et al. Efficacy, safety, and tolerability of rimegepant orally disintegrating tablet for the acute treatment of migraine: a randomised, phase 3, double-blind, placebo-controlled trial. Lancet 2019;394:737-745. 10. Kuca B, Silberstein SD, Wietecha L, et al. Lasmiditan is an effective acute treatment for migraine: A phase 3 randomized study. Neurology 2018;91:e2222-e2232.
Gefährliche Kopfschmerzen
Sturzenegger M / Mai 2020
Bei der ersten Annährung an eine korrekte Diagnose bei einer Kopfschmerzpatientin/einem Kopfschmerzpatienten geht es darum, die beiden grossen Kategorien idiopathische / primäre Kopfschmerzen (KS) (ca. 80% aller KS; Hauptvertreter: Migräne, Spannungs-KS, Cluster-KS) und symptomatische / sekundäre KS (maximal 20% aller KS) voneinander abzugrenzen. Die erste Gruppe ist nach der klinischen Symptomatik klassiert, die zweite nach den Ursachen. Gefährliche KS sind in der symptomatischen Gruppe anzutreffen.
Wichtig zur (rechtzeitigen) Erkennung von gefährlichen Kopfschmerzen ist, dass weniger die KS-Intensität oder das Auftreten von Begleitsymptomen (z.B. Erbrechen), sondern vielmehr die Krankengeschichte (z.B. Tumoranamnese, orale Antikoagulation bei Trauma, Fieber, etc.), das Zeitmusters (perakuter KS oder Dauer-KS) und die Art der Begleitsymptome (fokale neurologische Defizite; muss gezielt erfragt werden!) auf diese hinweisen. Daran muss gedacht und gezielt danach gefragt und gesucht (klinische Untersuchung) werden. Apparative Diagnostik (z.B. Bildgebung oder Liquoranalyse) soll anhand der Klinik gezielt eingesetzt werden: eine Meningitis oder eine Riesenzellarteriitis sieht man auch auf dem Standard-MRI-Bild nicht; bei fluktuierendem Bewusstseinszustand und Verdacht auf Meningitis ist andererseits eine Bildgebung vor der Lumbalpunktion obligat.
Beispiele symptomatischer Kopfschmerzen
1. Durchblutungsstörungen
arteriell:
- Hirnblutungen (Subarachnoidalblutungen, Subduralhämatom)
- Gefässentzündungen (Arteritis temporalis) • Gefäss-Dissektionen
- hypertensiver Notfall (Krise; Prä- / Eklampsie)
venös:
- Sinusvenenthrombose
2. Liquorzirkulationsstörungen
- Liquorunterdruck (Hypoliquorrhoe-Syndrom)
- Liquorüberdruck (Hydrocephalus)
3. Entzündungen
- im Schädel: Meningitis, Hirnabszess
- am Schädel: Sinusitis, Otitis, Pulpitis
- systemisch: Endokarditis, Pneumonie
4. Schädel-Hirn-Trauma
5. Raumforderung
- Hirntumore (primäre, Metastasen)
- Epidural- / Subduralhämatome
6. Toxisch
- Medikamente
- Drogen (u.a. Kokain, schleimhautabschwellende Nasensprays)
7. Metabolisch
- Hypoxie, Hyperthyreose Hypoglykämie, Dialyse
Gesichtsschmerzen
Stallmach M / Mai 2020
Schmerzen, die im Gesicht empfunden werden, können vielfältiger Natur sein: es kann sich um Kopfschmerzen mit Schwerpunkt im Gesicht wie den Cluster-Kopfschmerz, um eine Migräne, die vorwiegend ins Gesicht ausstrahlt, um eine Trigeminusneuralgie oder um seltenere Gesichtsschmerzen handeln. Daneben können die Schmerzen von benachbarten Strukturen wie den Nasennebenhöhlen, den Zähnen, dem Auge, dem Kiefergelenk oder sogar von der Halswirbelsäule ausgehen.
Sind die Schmerzen bei Ihnen erstmals aufgetreten und von einer Schwellung und Rötung im Augenbereich und/oder Sehstörungen begleitet, sollten sie unverzüglich eine Ärztin/einen Arzt aufsuchen, da es sich dann um eine entzündliche, potentiell bedrohliche Erkrankung handelt, die schnellst-möglich behandelt werden muss.
Leiden Sie an kurz dauernden, einschiessenden Schmerzen im Gesicht, die an derselben Stelle immer wieder auftreten und durch Berührung oder Kauen ausgelöst werden können, liegt wahrscheinlich eine Trigeminusneuralgie vor. Diese bedarf einer speziellen Behandlung, da sie auf die üblichen Schmerzmittel nicht anspricht. Gleiches gilt für den ClusterKopfschmerz, der durch täglich wiederkehrende, intensive, streng einseitige um das Auge lokalisierte Schmerzepisoden mit Begleitsymptomen auf der Schmerzseite wie Augentränen, laufender oder verstopfter Nase, Augenrötung, Hängen des Augenlides oder auch Unruhe gekennzeichnet ist. In beiden Fällen ist es sinnvoll, eine neurologische Abklärung durchzuführen.
Empfinden Sie Schmerzen im Bereich des Kiefers oder der Zähne werden Sie als erstes Ihre Zahnärztin/Ihren Zahnarzt aufsuchen. Wenn diese(r) bei der Untersuchung einschliesslich Röntgenaufnahmen keine Schmerzursache findet, drängen Sie bitte nicht auf das Ziehen von Zähnen. Insbesondere der anhaltende idiopathische Gesichtsschmerz und die Trigeminusneuralgie können Zahnschmerzen perfekt nachahmen und führen häufig dazu, dass ohne jeglichen Erfolg teilweise mehrere gesunde Zähne gezogen werden.
Kopfschmerzen? Wann Sie zur Ärztin/zum Arzt gehen sollten
Andrée C / Mai 2020
Kopfschmerzen sind weit verbreitet, rund 60 Prozent aller Schweizerinnen und Schweizer sind davon betroffen. In den meisten Fällen sind sie jedoch harmlos, sie verschwinden von selbst und /oder lassen sich mit frei verkäuflichen Schmerzmitteln gut behandeln. Eine Arztkonsultation ist dann in der Regel nicht nötig. Aber Kopfschmerzen können auch so heftig sein, dass die Befürchtung aufkommt, es könne eine gefährliche Erkrankung dahinterstecken.
Warnsignale….
….bei denen man mit Kopfschmerzen zur Ärztin/zum Arzt gehen sollte.
Bei etwa fünf Prozent aller Fälle ist der Kopfschmerz ein Symptom einer anderen - mitunter bedrohlichen - Krankheit. Die amerikanische Kopfschmerzgesellschaft hat die fünf Warnzeichen, bei denen Sie eine Ärztin/einen Arzt aufsuchen sollten unter der dem Akronym SNOOP aufgeführt.
Bei den folgenden Warnsignalen sollte eine Ärztin/ein Arzt aufgesucht werden.
- S für systemische Symptome: Die Kopfschmerzen treten zusammen mit Krankheitszeichen auf, die den ganzen Körper betreffen, zum Beispiel hohes Fieber.
- N für neurologische Symptome: Gleichzeitig mit den Schmerzen kommt es zu Störungen wie Schwindel, Verwirrtheit, Bewusstseinstrübungen, Sehstörungen, Schwäche oder Taubheit der Extremitäten oder die Unfähigkeit, zu sprechen. Kein Warnzeichen ist dagegen die Aura, die manchen Migräne-Attacken vorangeht. Auch bei ihr kommen neurologische Phänomene wie Sehstörungen vor. Doch für gewöhnlich dauert die Aura nur kurz und ist schon wieder vorbei, wenn der Kopfschmerz einsetzt.
- O für Onset (auf Deutsch: Einsetzen): Der Kopfschmerz setzt explosionsartig ein, als hätte der Betroffene einen Schlag auf den Kopf bekommen. Diese Form wird auch "Donnerschlagkopfschmerz" genannt. Innerhalb von einer Minute erreicht der Schmerz sein Maximum, das so heftig sein kann, dass Ärztinnen und Ärzte von "Vernichtungskopfschmerz" sprechen. Er kann auf eine lebensbedrohliche Gehirnblutung hinweisen; die Betroffenen müssen schnellstmöglich ins Krankenhaus.
- O für Older Age of Onset (höheres Alter beim Beginn): Wenn Menschen jenseits der 50 erstmalig sehr starke Kopfschmerzen entwickeln, sollte eine Ärztin oder ein Arzt die Beschwerden abklären. Bei älteren Menschen ist das Risiko für Grunderkrankungen, die sich durch Kopfschmerzen ankündigen, etwa Schlaganfälle, grösser.
- P für Pattern Change (Änderung des Kopfschmerz-Musters): Auch Menschen mit Migräne oder häufigem Spannungskopfschmerz können einen sekundären Kopfschmerz erleiden, der auf einer ernsten Krankheit beruht. Deshalb sollten Abweichungen vom typischen Schmerzmuster ernst genommen und abgeklärt werden.
Wann zum Notarzt mit Kopfschmerzen?
Bei extrem starken Kopfschmerzen, die schlagartig innerhalb von Sekunden ansteigen, bei begleitender Nackensteife, hohem Fieber (im Fall von Meningitis), epileptischen Anfällen oder akuten neurologischen Ausfallsymptomen (z. B. Lähmungen) ist Vorsicht angesagt. Es muss nicht unbedingt eine gefährliche Krankheit dahinterstecken aber es kann sein, dass die Ursachen dieser Beschwerden rasch kontrolliert werden müssen, in diesem Fall sollte man möglichst rasch in den Notfall.
Die Furcht vieler Kopfschmerzpatientinnen und Kopfschmerzpatienten, dass ein Hirntumor die Beschwerden auslöst, ist in den allermeisten Fällen unbegründet. Kopfschmerzen aufgrund von Hirntumoren sind bei weniger als 0,1 Prozent aller Kopfschmerzpatienten das einzige oder erste Symptom.
Wann zur Hausärztin/zum Hausarzt?
Sie oder er ist in der Regel die Ansprechpartnerin/der Ansprechpartner Nummer Eins. Auch wenn die meisten Kopfschmerzen keinen Notfall darstellen, sollte man bei häufig wiederkehrenden und belastenden Kopfschmerzen eine Ärztin oder einen Arzt aufsuchen. Die Medikamente können bei Dauergebrauch ihrerseits Kopfschmerzen hervorrufen. Die medizinische Betreuung bietet jedoch einige Probleme. Es gibt keinen Labortest für die häufigsten Kopfschmerzarten und es steht oft nur ungenügend Zeit zur Verfügung. Erschwerend kommt dazu, dass die ärztliche Untersuchung des Nervensystems (Neurostatus) nur andere Krankheiten ausschliessen kann.
Allein die Krankengeschichte (Anamnese), die Kenntnis der Erscheinungen und des Verlaufs des Kopfschmerzleidens, erlaubt keine korrekte Klassifikation und richtige Indikation der Behandlung. Die genaue Beschreibung anhand Notizen oder eines detaillierten Kopfschmerzkalenders durch die Patientin/den Patienten bildet die Basis für eine angepasste Therapie.
Wann zur Neurologin/zum Neurologen?
Nicht immer fühlen sich Patientinnen und Patienten von ihrer Hausärztin/ihrem Hausarzt gut beraten. Sie können eine Fachärztin oder Facharzt aufsuchen, wenn nach Absprache mit Ihrer Hausärztin oder Hausarzt eine weitere Abklärung Ihrer Symptome stattfinden sollte. Ausserdem werden bestimmte Medikamente (z.B. zur Prophylaxe) nur nach Rücksprache mit der Neurologin oder dem Neurologen von den Krankenkassen rückerstattet. Bei Unsicherheiten - an wen man sich wenden sollte - kann das Kopfschmerztelefon der Migraine Action 061 423 10 80 (Di-Do 9-12 Uhr) Unterstützung anbieten.
IHS Klassifikation ICHD-3
Flügel D / Mai 2020
I: Primäre Kopfschmerzen
- Migräne
- Kopfschmerz vom Spannungstyp
- Trigemino-autonome Kopfschmerzerkrankungen (TAC)
- Andere primäre Kopfschmerzen
II: Sekundäre Kopfschmerzen
- Kopfschmerz zurückzuführen auf eine Verletzung oder ein Trauma des Kopfes und/oder der HWS
- Kopfschmerz zurückzuführen auf Gefässstörungen im Bereich des Kopfes und/oder des Halses
- Kopfschmerz zurückzuführen auf nichtvaskuläre intrakranielle Störungen
- Kopfschmerz zurückzuführen auf eine Substanz oder deren Entzug
- Kopfschmerz zurückzuführen auf eine Infektion
- Kopfschmerz zurückzuführen auf eine Störung der Homöostase
- Kopf- oder Gesichtsschmerzen zurückzuführen auf Erkrankungen des Schädels sowie von Hals, Augen, Ohren, Nase, Nebenhöhlen, Zähnen, Mund und anderen Gesichts- oder Schädelstrukturen
- Kopfschmerz zurückzuführen auf psychiatrische Störungen
III: Neuropathien und Gesichtsschmerzen
- Schmerzhafte Läsionen der Hirnnerven und andere Gesichtsschmerzen
- Andere Kopfschmerzerkrankungen
Siehe auch:
- The International Classification of Headache Disorders. Cephalalgia. 2018; 38 (3rd edition):
Link - IHS Klassifikation ICHD-3
IHS Klassifikation ICHD-3
Komorbidität bei Migräne
Koch J W / Mai 2020
Migräne ist mehr als nur Kopfweh. Sie ist eine komplexe neurologische Erkrankung, über die wir auch heute noch zu wenig wissen. Bei häufig auftretenden Migräneattacken oder einer chronischen Migräne beobachten wir eine erhöhte Komorbidität. Mit Komorbidität bezeichnen wir Begleiterkrankungen, welche zusätzlich zu einer Grunderkrankung bestehen.
Bestimmte Begleiterkrankungen finden sich überzufällig häufig bei Migräne. Dies betrifft insbesondere psychiatrische Erkrankungen wie Depressionen, Angststörungen oder Schlafstörungen. Psychische Symptome wiederum sind typisch für Migräneattacken, sie treten noch vor den Kopfschmerzen auf. Zusätzliche Schmerzerkrankungen wie eine Fibromyalgie verschlechtern den Verlauf der Migräne.
Über Blut und vegetatives Nervensystem beeinflussen sich Magendarmtrakt und Migräne gegenseitig. Entzündliche Darmerkrankungen wie Morbus Crohn kommen gehäuft bei Migräne vor. Dies betrifft auch kardiovaskuläre und respiratorische Erkrankungen wie Asthma bei chronischer Migräne. Schwindel kann sowohl eine Manifestation der Migräne als auch eine eigenständige Begleiterkrankung sein.
Visual Snow ist ein relativ neuartiges Phänomen, das mit Migräne in Verbindung steht, aber nicht mit einer Aura verwechselt werden sollte. Diese Sehstörung, welche oft mit dem Bildrauschen eines Analogfernsehers verglichen wird, ist permanent vorhanden und zeigt derzeit kaum ein Ansprechen auf Medikamente. Gestört ist hier die Verarbeitung der visuellen Reize durch das Gehirn.
Beim Visual Snow, der Migräne und anderen Begleiterkrankungen wie Tinnitus oder Angststörungen haben wir Hinweise auf eine Übererregbarkeit des Gehirns, welches mit der Verarbeitung normaler Sinnesreize überfordert ist (kortikale Hyperexzitabilität). In der Migräneattacke werden sonst schmerzlose Reize wie Licht, Geräusche oder Gerüche nicht mehr ertragen. Migräne und die erwähnten Begleiterkrankungen könnten sich in einem Teufelskreis gegenseitig verstärken und zu einer Chronifizierung der Gesamtbeschwerden führen.
Die Zusammenhänge zwischen Migräne und Begleiterkrankungen sind noch unzureichend geklärt, Konsequenzen für die Migränetherapie sind aber offensichtlich. Begleiterkrankungen sollten als solche erkannt und bei der Therapieentscheidung berücksichtigt werden. Eine optimale Therapie zielt auf alle Mechanismen, die zur Unterhaltung der Migräne beitragen können. Der Therapieerfolg sollte bei komplizierten Verläufen also nicht nur an der Anzahl der Kopfschmerztage gemessen werden.
Migräne ist viel mehr als nur Kopfweh.
Hohe Lebensqualität trotz Migräne?
Bärlocher D / Mai 2020
Der Wert der Lebensqualität wird den meisten erst bewusst, wenn eine Veränderung zum Schlechten eintritt. Migräne, die immer wieder und immer häufiger auftritt, gehört dazu: Sie stellen fest, dass Ihre Lebensqualität abgenommen hat. Was kann das bedeuten?
Die Migräne plagt uns direkt: Kopf und Körper sind in Mitleidenschaft gezogen. Der Schmerz vernichtet Lebensqualität so lange, bis ihm etwas gewachsen ist. Ein rasch und anhaltend wirksames Medikament zum Beispiel, das wir gut vertragen, bedeutet bereits hohe Lebensqualität. Sie fühlen sich wieder wie ein Mensch, Sie können wieder etwas anpacken.
Die Migräne schadet unserem Ruf, denn Migräne-Patientinnen und Migräne-Patienten sind sehr wohl leistungsfähig, jedoch mit Unterbrüchen. Häufige und unberechenbare Attacken verhindern eine verlässliche Anwesenheit, beruflich wie privat. Ein sozialer Rückzug vermindert die Lebensqualität noch mehr.
Die Migräne bedroht wichtige Lebensbereiche: die Arbeitsstelle und damit das Einkommen, die Karriere, Beziehungen, (die intimen und nahen ebenso wie die kollegialen), das eigene Selbstverständnis, Zukunftspläne, Träume und Hoffnungen. Die chronischen und überwältigenden Kopfschmerzen drohen alles zu verdunkeln.
Für manche ist das Elend mit einer heftigen Migräne alle paar Wochen schon da. Wenn Sie an 8 bis 10 Tagen im Monat etwas gegen die Schmerzen nehmen müssen, dann ist Ihre Lebensqualität definitiv vermindert. Spätestens jetzt sollten Sie mit Ihrer Neurologin oder Ihrem Neurologen über eine medikamentöse Basisbehandlung sprechen.
Was können Sie sonst noch tun?
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Viele Krankheiten verursachen Kopfschmerzen
Meienberg O / Mai 2020
Kopfschmerzen, diffus über den ganzen Kopf verteilt oder auf bestimmte Stellen am Kopf beschränkt, können zahlreiche Ursachen haben. Diese reichen vom banalen Katerkopfschmerz nach durchzechter Nacht bis zum Kopfschmerz verursacht durch eine Hirnblutung.
Im erstgenannten Fall ist die Ursache bekannt und der Kopfschmerz nötigenfalls mit einem einfachen Mittel behandelbar. Anlass zur Beunruhigung besteht nicht.
Treten aber Kopfschmerzen erstmalig oder andersartig auf als vorher, sind sie heftig und von anderen Beschwerden begleitet wie Fieber, Erbrechen, Lähmungen, usw., so ist ein Arztbesuch zur Ursachenabklärung angebracht. Bei ungewöhnlichen Kopfschmerzen mit rascher Symptomzunahme oder Verschlechterung des Allgemeinbefindens kann sogar die Notfall-Einweisung in ein Spital erforderlich sein, um z. B. nicht eine Hirnhautentzündung oder eine Blutung aus einer Hirngefässmissbildung zu übersehen.
Als sehr nützliches diagnostisches Hilfsmittel für die Ärztin/den Arzt hat sich die internationale Klassifikation der Kopfschmerzen erwiesen: ichd-3.org/de/ Darin sind alle wichtigen Kopfschmerzformen und -ursachen genau definiert. Es werden 3 Hauptgruppen unterschieden:
- Primäre Kopfschmerzen (= keine andere Ursache), wichtigste Formen: Migräne, Spannungstypkopfschmerz, Clusterkopfschmerz
- Sekundäre Kopfschmerzen (= durch irgendeine andere Erkrankung verursacht)
- Neuropathien und Gesichtsschmerzen
Je nachdem, welche Kopfschmerzform oder -ursache die Ärztin/der Arzt aufgrund einer sorgfältigen Patientinnenbefragung/Patientenbefragung vermutet, wird er weitere Abklärungsuntersuchungen veranlassen. Dazu gehören z. B. Blutsenkungsreaktion und Kernspintomographie (MRI). Nach gestellter Diagnose werden gezielte Behandlungen eingeleitet.
Kinder mit Kopfschmerzen
Iff T. Mai 2020
Allgemeine Massnahmen Auch beim Kind sind eine ausführliche Anamnese sowie eine allgemeine und neurologische Untersuchung die wichtigsten Elemente der Diagnostik. Die diagnostischen Kriterien der Kopfschmerzen wurden in der 3. Internationalen Kopfschmerzklassifikation auch ans Kindesalter adaptiert. Die Mehrzahl der Kinder haben entweder eine Migräne, Spannungskopfschmerzen oder Mischformen dieser zwei. Die Migräne mit Aura ist im Schulalter selten und wird meist erst im Verlauf der Adoleszenz manifest, eine starke familiäre Prädisposition spielt hier noch eine dominantere Rolle als bei der einfachen Migräne. Bildgebende Verfahren sind nur indiziert, wenn die Anamnese für primäre Kopfschmerzen ungewöhnlich ist und Hinweise für „gefährliche“ Kopfschmerzen in Form von sog. Alarmsymptomen beinhaltet und/oder die neurologische Untersuchung nicht normal ist. Die Angst der Eltern vor einem Hirntumor kann bei primären Kopfschmerzen durch gute Aufklärung abgebaut werden. Ein Kopfwehtagebuch - inkl. Zykluskalender bei AdoleszentInnen - ist aus diagnostischen Gründen und zur Therapieüberwachung wichtig.
“Kopfschmerzpräventive“ Massnahmen im Alltag sind wichtig und gerade im Kindesalter hilfreich: regelmässige Mahlzeiten (gezielt auch vor sportlicher Aktivität), eine ausreichende Trinkmenge, Verzicht auf regelmässige koffeinhaltige Getränke (Cola, Red Bull, Eistee), und eine ausreichende Schlafmenge. Überbelastungssituationen durch Über- oder Unterforderung in der Schule oder ein Überangebot an Freizeit sind abzuklären. Aus Erfahrung spielt auch im Jugendalter eine sportliche, wöchentliche Ausdaueraktivität eine wichtige salutogene Rolle in der Behandlung von Kopfschmerzen.
Behandlungsempfehlungen
Die Behandlung muss auch im Kindes-/Jugendalter die verschiedenen Kopfschmerzformen und die Beeinträchtigung der Lebensqualität dadurch in der Schule und Freizeit berücksichtigen.
1. Migräne Akutbehandlung
Bei Kindern im Vorschul- oder frühen Schulalter ist das „Ausschlafen“ einer kurzen Migräneattacke häufig ohne Medikamente wirksam. Bei älteren Kindern und AdoleszentInnen kann bei längerdauernden (>1/2-1Std.) und/oder schwereren Attacken häufig neben der Schonhaltung und Reizabschirmung nicht auf Akutmedikamente verzichtet werden, möglichst frühzeitig im Attackenablauf anzuwenden.
Analgetika/NSAR:
1. Paracetamol (Tbl., Suppos.d, lingual) | 15 mg/kg KG/Dosis | max. alle 5-6 Std. |
2. Ibuprofen (Sirup, Tabletten, lingual) | 5-10 mg/kg KG/Dosis | max. alle 6 Std. |
3. Mefenaminsäure | 5-(10) mg/kg KG/Dosis | max. alle 8 Std. |
4. Acetylsalicylsäure (bevorzugt ab 12 Jahren) | 10 mg/kg KG/Dosis | max. alle 6-8 Std. |
Triptane:
Bei Jugendlichen über 12 Jahre mit ungenügendem Ansprechen auf diese Analgetika trotz frühzeitiger und ausreichend dosierter Attackentherapie ist in der Schweiz nur Sumatriptan= Imigran® 10 oder 20 mg Nasenspray als einziges Triptanpräparat zugelassen:
Sumatriptan resp. Imigran® (ab 12 Jahren) | Nasenspray (NS) 10 mg < 40 kg KG | |
NS 20 mg > 40 kg KG (=KG) | (max. 40 mg/24 Std.) |
In internationalen Studien waren aber auch weitere (Almotriptan, Zolmitriptan nasal und Rizatriptan) ab 12 Jahren signifikant wirksam.
Antiemetika:(bei Übelkeit mit den Akutmedikamenten verabreicht)
Domperidon Suspension | 0.25 mg/kg KG/Dosis | max. alle 6 Std. |
Lingual | 10 mg KG/Dosis > 35 kg KG | max. alle 12 Std. |
2. Migräne Langzeitprophylaxe
Selten indiziert: bei unwirksamer Attackentherapie und/oder häufiger Beeinträchtigung (3-4 mittel- bis starke Attacken mit Schul- /Freizeitausfällen/Monat), mehrheitlich im Adoleszentenalter.
Häufig wirksam und mit guter Verträglichkeit, deshalb häufig an erster Stelle verwendet trotz wenig Evidenz:
Magnesium | 9 mg/kg KG/Tag =0.37 mmol/kg KG/Tag in 2-3 Einzeldosen (ED) | Cave: NW: Bauchschmerzen, Durchfall |
Riboflavin | 200-300 mg und ab 60 kg KG max. 400 mg/Tag in 2 ED |
Evidenzbasiert sind bei Kindern und Jugendlichen folgende wirksam:
1.Flunarizin | 1-2 Tbl. à 5 mg/Tag (2 Tbl. > 40 kg KG) | Cave: NW: depressive Verstimmung möglich, Gewichtszunahme und Somnolenz häufig (abendliche Gabe!) |
2.Propranolol | 0.5–3mg/kg KG/Tag | Cave: NW: Orthostatische Symptomatik, depressive Verstimmung, Leistungs- begrenzung KI: Asthma, Arrhythmien |
Folgende 2 Medikamente sollten nach individueller Abwägung eingesetzt werden (in früheren Studien Evidenz, in neueren keine mehr gegenüber Placebo): | ||
3. Topiramat | 50-max. 100 mg/Tag | Cave: bei höherer Dosierung neurokognitive Nebenwirkungen! |
4. Amitryptilin | 0.2–1mg/kg KG/Tag max. 100mg/Tag | Cave: KI: prolongierte QT-Zeit |
Die Langzeitprophylaxe muss mindestens (1-)2 Monate evaluiert werden hinsichtlich Wirksamkeit (muss wie Attackentherapie über 50% Besserung ergeben wegen hohem Placeboeffekt im Kindesalter!). Bei zu häufiger Akutmedikamenteneinnahme (>10 Behandlungstage/Monat an >3 Monaten) kann selten auch bei Kindern und gelegentlich bei Jugendlichen ein Medikamentenüberkonsum-Kopfschmerz beobachtet werden. Bei postpuberalen Jugendlichen kann bei hoher Migränefrequenz ( ≥ 8 Migränetage/Monat) mit deutlicher Beeinträchtigung und fehlender Besserung durch ≥ 2 der obgenannten Prophylaxemedikamente nach den neusten Empfehlungen der amerikanischen Kopfschmerzgesellschaft auch eine prophylaktische Therapie mit monoklonalen CGRPAntikörpern in Erwägung gezogen werden, wofür die PatientIn einem Zentrum/einer Praxis mit Kopfschmerzerfahrung im Kindes- und Jugendalter zugewiesen werden sollte.
3. Migräne bei der Adoleszentin
An die Möglichkeit einer menstruationsassoziierten Migräne ist zu denken. Eine hormonelle Behandlung sollte der Kopfwehspezialistin/dem Kopfschmerzspezialisten und spezialisierten, endokrinologischen Gynäkologinnen und Gynäkologen überlassen werden.
4. Spannungskopfschmerzen
Bei vielen Kindern sollten in erster Linie die zur „Spannung“ führenden Ursachen (am häufigsten belastende Schul- oder Familiensituationen) zur Verbesserung der Kopfschmerzen wenn möglich „kausativ“ verändert werden, was aber schwierig sein kann. Aus diesem Grund kommt spannungsvermindernden Massnahmen eine wichtige Bedeutung zu: häufig kann ein regelmässiger Lebensrhythmus mit ausreichend Schlaf und regelmässiger körperlicher Aktivität im Freien im Schulalter bereits helfen. Die bei der Migräneattacke verwendeten Schmerzmittel sollten hier zurückhaltend und nur bei mittelstarker Schmerzintensität mit einer Beeinträchtigung eingesetzt werden. Entspannungsmethoden wie z. B. autogenes Training, Relaxationstherapie nach Jacobson, Biofeedbackmethoden, Verhaltenstherapien sowie komplementärmedizinische Massnahmen wie Akupunktur können einen positiven Effekt auf die Kopfschmerzen haben, wobei für die meisten dieser Methoden der evidenzbasierte Wirkungsnachweis im Kindesalter nicht erbracht wurde. Auch Magnesium kann in der gleichen Dosierung wie bei der Migräne eingesetzt werden, wobei auch dafür keine relevanten Studien existieren.
5. Chronische sowie chronisch-tägliche Kopfschmerzen
Diese ursächlich meist ungenau definierten und insbesondere bei Jugendlichen vorkommenden Kopfschmerzen sind aus Erfahrung therapeutisch schwierig anzugehen und bedürfen einer Betreuung durch eine Kopfschmerzspezialistin/einen Kopfschmerzspezialisten. Wiederholt kann sich hinter chronischen Kopfschmerzen im Jugendalter auch eine Depression verbergen, häufig assoziiert mit relevanter Schulabsenz.
Migräne bei Frauen
Merki G S / Mai 2020
Das Überwiegen des weiblichen Geschlechtes bei Migräne (3:1) und Spannungskopfschmerzen (5:4) ist allgemein bekannt. Bei Spannungskopfschmerzen ist die Prävalenz der Frauen eher auf verschiedene geschlechtsgebundene psychologische und psychosoziale Faktoren sowie auf Verhaltensunterschiede zurückzuführen. Im Fall der Migräne hingegen unterstützen viele Beobachtungen die Hypothese, dass hormonelle Einflüsse eine Rolle spielen. Häufig beginnt die Migräne bei Frauen in der Pubertät, wird im Laufe des Lebens häufiger und bessert dich dann in der Menopause. Mehr als 75% der Migräneattacken bei Frauen sind menstruationsassoziiert. Ursächlich sind hier der Hormonabfall am Ende des Zyklus und die mit der Blutung assoziierte Freisetzung an Prostaglandinen. Östrogene haben hier den größeren Einfluss, als die Gestagene. In der Schwangerschaft ist der Hormonspiegel stabil, wahrscheinlich deshalb ist die Migräne dann bei vielen Frauen besser, vor allem ab etwa der 17. Schwangerschaftswoche. Hormone werden auch therapeutisch eingesetzt, beispielsweise zur Verhütung, als Hormonersatztherapie, bei Endometriose, bei Brustkrebs, zur Regulierung des Zyklus und als Interzeption. Auch diese Hormone können eine Migräne auslösen oder den Verlauf einer bereits bestehenden Migräne verbessern oder ungünstig beeinflussen. Migräne ist oft mit dem gehäuften Auftreten anderer Erkrankungen assoziiert, wie Endometriose oder Dysmenorrhoe. Auch Depressionen sind häufig.
Menstruelle Migräne
Man unterscheidet zwischen der menstruellen Migräne (MM) und der rein menstruellen Migräne (PMM). Beiden ist gemeinsam, dass definitonsgemäss die Migräne an den ersten drei Tagen der Monatsblutung auftritt oder 2 Tage zuvor in mindestens 2 von 3 Zyklen. Frauen mit MM haben zusätzlich Attacken auch zu anderen Zeitpunkten des Zyklus. Die PMM, also das ausschliessliche Auftreten der Migräne im oben genannten Zeitraum ist sehr selten. Die Attacken der MM sind schmerzhafter, als andere Attacken, dauern länger an und reagieren schlechter auf die klassischen Akutmedikationen. Der Leidensdruck der Patientinnen ist deshalb oft sehr hoch. Meistens handelt es sich um eine Migräne ohne Aura, d.h. ohne vorübergehende neurologische Symptome wie Sehstörungen, Missempfindungen, Sprachstörungen und, seltener, Lähmungen. Die korrekte Diagnose wird durch einen entsprechenden Kopfschmerz-Blutungskalender erfasst, der über 3 Zyklen geführt werden muss.
Das prämenstruelle Syndrom (PMS)
Trotz ähnlicher Symptome sollte man versuchen, die menstruelle Migräne von Kopfschmerzen im Rahmen des prämenstruellen Syndroms zu unterscheiden. Zu den körperlichen Symptomen des prämenstruellen Syndroms (PMS) gehören unter anderem Brustspannen, Kopf- und Rückenschmerzen, Abgeschlagenheit und Aufgedunsenheit. Auf psychisch-emotionaler Ebene äußert sich das PMS unter anderem durch Reizbarkeit, depressive Verstimmungen, Schlafstörungen und Antriebslosigkeit. Der Kopfschmerz steht in der Regel nicht im Vordergrund und spricht gut auf Analgetika an.
Migräne und Schwangerschaft
In den ersten 3 Monaten der Schwangerschaft kann es zu einer Verschlimmerung der Migräne kommen. Danach wird jedoch ein großer Teil der Migränikerinnen während des 2. und 3. Drittels der Schwangerschaft beschwerdefrei. Dies gilt insbesondere für Frauen, die an einer menstruellen Migräne leiden. Im Wochenbett können die Migräne-Symptome wieder vermehrt auftreten. 25% der Migränikerinnen bekunden keine Veränderung ihrer Attackenhäufigkeit während der Schwangerschaft. Bei Planung einer Schwangerschaft sollten sich Frauen mit Migräne beraten lassen, welche Schmerzmedikamente während der jeweiligen Phase der Schwangerschaft eingenommen werden müssen. Eine Umstellung auch der Migräneprophylaxe sollte vor Absetzen der Schwangerschaftsverhütung erfolgen. Die Besserung der Migräne während der Schwangerschaft soll auf den gleichmässig hohen und stabilen Spiegeln der weiblichen Hormone beruhen, die Verschlechterung nach der Geburt auf deren Abfall.
Migräne und kombinierte hormonelle Verhütungsmittel (CHC) und andere
Auch Frauen, die ein kombiniertes Verhütungsmittel einnehmen haben durch das Absetzen des Hormones vor der Blutung einen Hormonentzug. Dieser ist noch abrupter als im natürlichen Zyklus und kann zu Migränen führen, die wie andere MM sehr stark, schwer therapierbar und lang andauernd sind.
Weiterhin können diese Präparate eine Migräne initiieren, die Migränefrequenz erhöhen und bei Frauen mit Migräne ohne Aura dazu führen, dass neu Auren auftreten. In beiden Fällen sollte von CHC abgeraten werden und eine andere Verhütungsmethode eingesetzt werden. Dies, weil CHC bei Migränikerinnen das Risiko für einen cerebrovaskulären Insult erhöhen können. Mit 40 Jahren ist dieses Risiko 2.8-fach erhöht im Vergleich zu Nichtmigränikerinnen. Bei Migräne mit Aura ist es 6-fach erhöht. Die Migräne mit Aura ist deshalb eine absolute Kontraindikation für die Anwendung von CHC. Zu einer weiteren multiplikativen Risikoerhöhung kommt es bei Hypertonie, Nikotinabusus, und/oder Übergewicht. Migränikerinnen sollen ihre Verhütungsproblematik mit dem Facharzt gründlich diskutieren. Auch Hormonspiralen können einen negativen Einfluss auf den Migräneverlauf haben, dagegen sind Kupferspiralen hier neutral. Mehrere Studien der letzten Jahre belegen, dass die Anwendung des Gestagens Desogestrel zur Verhütung menstruelle und auch nichtmenstruelle Migränen verbessern kann. Auch nicht hormonelle Migränen, wie die chronische Migräne werden positiv beeinflusst. Verhütungsmittel mit nur Gestagenen erhöhen das Schlaganfallrisiko nicht, was als weiterer Benefit angesehen werden muss
Migräne in der Peri- und Postmenopause
Die Phase, in der Frauen altersbedingt unregelmäßiger den Eisprung haben und entsprechend auch unregelmäßiger bluten, nennt man Perimenopause. Hat eine Frau mindestens ein Jahr nicht mehr geblutet ist sie in der Postmenopause. In der Perimenopause kommt es teilweise zu ausgeprägten Hormonschwankungen, die zu einem häufiger werden der Migränen führen. Hinzu kommen bei einigen Frauen Schlafstörungen und Wallungen als potentielle weitere Migränetrigger. In der Postmenopause dagegen hört bei vielen Frauen die Migräne auf, besonders bei solchen bei denen die Menstruation ein starker Trigger war. Weil keine Follikelreifung mehr stattfindet, bleiben die Oestrogenspiegel in diesem Lebensabschnitt auf konstant niedrigem Niveau. Sehr selten tritt eine Migräne in dieser Lebensphase neu auf.
Hormonersatztherapie HRT
Eine Hormonersatztherapie wird dann durchgeführt, wenn die Frau in der PeriPostmenopause an ausgeprägten Hormonausfallerscheinungen leidet, wie Reizbarkeit, Schlaflosigkeit, Hitzewallungen. Bei dieser Behandlungsart werden Präparate, welche Oestrogene und Gestagene enthalten, als Tablette, Pflaster oder Gel angewandt. Heute wird empfohlen mit einer möglichst niedrigen Dosis zu behandeln und nur so lange, wie nötig, da das Brustkrebsrisiko bei langer Behandlung ansteigen kann. Um das Thromboserisiko niedrig zu halten sollte man die transdermale Therapie als first line Option anbieten. Die HRT hat aber auch Benefits, wie Verhinderung des Knochenabbaus (Osteoporose) und Schutz der Blutgefässe vor Arteriosklerose. Falls eine Hormonersatztherapie wegen Migräne durchgeführt werden muss, sind kontinuierlich durch die Haut aufgenommene Hormone (Pflaster, Gel) vorzuziehen, da der Blutspiegel bei dieser Anwendungsart weniger schwankt als unter Tabletteneinnahme. Eine in der Menopause rückläufige Migräne kann sich manchmal durch die Hormonersatztherapie wieder verschlechtern. In einem solchen Fall sind Vor- und Nachteile der Behandlung abzuwägen. Dabei sind die subjektive Ausprägung der hormonalen Ausfallserscheinungen sowie das individuelle Osteoporoserisiko gegenüber der Häufigkeit, Schwere und dem Ergebnis der bisherigen, hormonfreien Behandelbarkeit der Migräneanfälle zu gewichten. Bei Frauen, die keine Hormone anwenden dürfen, wurde gezeigt, dass auch Antidepressiva erfolgreich die Symptome lindern können.
Migräne
Käseberg C, Emmenegger M / Mai 2020
Als Migräne wird eine Kopfschmerzform bezeichnet, die sich durch einen anfallsartigen, pulsierenden, meist halbseitigen Schmerz äussert und durch körperliche Bewegung zunimmt. Der Kopfschmerz wird oft von zusätzlichen Symptomen wie Appetitlosigkeit, Übelkeit, Erbrechen, Lichtempfindlichkeit (Photophobie), Geräuschempfindlichkeit (Phonophobie), Geruchsempfindlichkeit (Osmophobie) sowie Ruhebedürftigkeit begleitet.
Meistens kündigt sich ein Migräneanfall bereits Tage vor der Kopfschmerzphase durch Vorboten-Zeichen, so genannten Prodromalsymptomen (Nervosität, Euphorie, Stimmungsschwankungen, Appetitlosigkeit, Heisshunger, Kälteempfindungen, usw.) an.
Bei zirka 15-20% der Patientinnen und Patienten tritt anschliessend die Auraphase mit Sehproblemen, Gesichtsfeldausfällen (Flimmerskotomen), Wahrnehmungsveränderungen oder sensiblen Störungen der Extremitäten (Arme) auf. Diese beginnt innert eines kurzen Zeitraumes und sistiert in der Regel weniger als eine Stunde vor den Kopfschmerzen.
Die Schmerzphase mit den oben genannten vegetativen Symptomen dauert zwischen einigen Stunden und drei Tagen an. Während der Rückbildungsphase klingt der Schmerz allmählich ab. Die Patientin/Der Patient fühlt sich tags darauf oft noch müde und abgespannt.
Kinder (Jungen und Mädchen) leiden ungefähr gleich häufig unter Migräne (1-JahresPrävalenz 3-7%). Erst mit der Pubertät steigt die Prävalenz beim weiblichen Geschlecht als Folge des Einflusses der weiblichen Sexualhormone an. Die 1-Jahres-Prävalenz liegt zwischen 10-15%. Insbesondere Personen im Alter zwischen 25 und 45 Jahren sind betroffen, davon Frauen bis zu dreimal häufiger als Männer.
Da in der Schweiz zirka 1 Million Migräne-Patientinnen und Migräne-Patienten leben, bekommt diese Krankheit eine wesentliche volkswirtschaftliche Bedeutung. Die jährlichen Kosten werden auf 500 Millionen Franken geschätzt. Während für die ärztliche und medikamentöse Behandlung zirka 100 Millionen gerechnet werden, sind insbesondere die indirekten Kosten als Folge der vollständigen oder teilweisen Arbeitsunfähigkeit erheblich.
Ist die Migräne eine psychisch bedingte Krankheit (und somit von aussen beeinflussbar) oder ein genetisches Schicksal?
C. Meyer / Februar 2013
Eine genetische Disposition der Migräne wurde schon seit längerer Zeit vermutet, vor allem auch aufgrund des bekannten Phänomens, dass sich in vielen Familien die Krankheit wie ein roter Faden durch Generationen hinzieht. Es ist gesichert, dass genetische Veränderungen verantwortlich sind für eine Stoffwechselstörung bestimmter Hirnzellen (Calciumüberladung, Ionenkanalerkrankung) und, dass der spezifische Schmerzmechanismus dadurch aktiviert wird.
Welche Rolle spielt hier die Psyche als möglicher kausaler Faktor? Es gibt dafür keine Beweise. Einflüsse von Seite der Psyche können im Einzelfall sehr wohl eine Rolle spielen (sowohl Freud als auch Leid), müssen aber nicht. Begleiterkrankungen wie Depressionen und Ängste sind hinlänglich bekannt, sie sind aber nicht die Ursache. In der täglichen Praxis sieht man regelmässig Leute, denen es psychisch sehr schlecht geht und die trotzdem nicht an vermehrtem oder intensiverem Kopfweh leiden; andererseits fühlen sie sich wieder sehr gut und verstehen nicht, warum sie trotzdem Migräne haben.
Dass eine „normale“ Migräne mit wenigen Attacken pro Monat nach vielen Jahren in einen chronischen täglichen Kopfschmerz mit beeinträchtigter Lebensqualität übergehen kann, ist eine leidige Tatsache, z.T. medizinisch induziert, aber nicht zwingend die bisher niemand hinreichend erklären konnte. Eine psychische Ursache konnte auch hier nie nachgewiesen werden, andauernde Schmerzen können aber mit der Zeit zu psychischen Veränderungen führen. Ob es eine „Migränepersönlichkeit“ gibt, wird seit Jahrzehnten kontrovers diskutiert; von der ärztlichen Erfahrung her spricht wohl einiges dafür, obwohl wissenschaftliche Belege bisher nicht erbracht werden konnten.
Migränechirurgie
P. Sandor / Sommer 2016
Seit einiger Zeit wird in der Schweiz eine so genannte „Migränechirurgie“ angeboten. Immer wieder melden sich Patientinnen und Patienten und fragen ob das Heraustrennen eines Gesichtsmuskels tatsächlich eine Heilung ihrer Migräne bewirken könnte, oder mindestens eine Linderung.
Nach heutigem Stand des Wissens - von den Spezialistinnen und Spezialisten weltweit übereinstimmend so vertreten - entsteht die Migräne im Gehirn. In den Forschungen und Überlegungen zu den Entstehungsmechanismen spielt ein einzelner Gesichtsmuskel keine wesentliche Rolle.
Auch ist in den wissenschaftlichen Zeitschriften keine Untersuchung veröffentlicht worden, welche die Wirksamkeit eines chirurgischen Eingriffs auf die Migränehäufigkeit oder –schwere belegt hätte.
Leider sind Betroffene immer wieder bereit, unbewiesene, wirkungslose oder sogar schädliche Methoden auszuprobieren, um ihre Migräne zu lindern. Dazu gehören teils auch chirurgische Massnahmen, also nicht rückgängig zu machende Eingriffe in den menschlichen Körper. Teils werden auch hohe Summen von Anbietern verlangt und Betroffene sind manchmal bereit, sie zu bezahlen.
Mindestens einiges hiervon trifft auch für die Migränechirurgie zu. Wissenschaftlich akzeptable Untersuchungen zu ihrer Wirksamkeit fehlen, sie ist teuer, und bei weitem nicht risikolos.
Die Therapiekommission der Schweizerischen Kopfwehgesellschaft empfiehlt somit auch ganz klar: Finger weg von dieser (und ähnlichen) Methoden.
Migräne in der Menopause
G. Merki / Februar 2013
Migräne in der Menopause
Weil keine Follikelreifung mehr stattfindet, bleiben die Oestrogenspiegel in diesem Lebensabschnitt auf konstant niedrigem Niveau. Dies trägt bei manchen Migräneleidenden zu einer Besserung mit Rückgang von Anfallshäufigkeit und -stärke bei.
Besonders Frauen die unter einer echten menstruellen Migräne gelitten hatten, fühlen sich häufig in der Menopause ganz wesentlich erleichtert. Sehr selten tritt eine Migräne in dieser Lebensphase neu auf.
Hormonersatztherapie
Bei dieser Behandlungsart werden Präparate, welche Oestrogene und Gestagene enthalten, als Tablette, Pflaster oder Gel angewandt. Hormone sind indiziert zur Behandlung von menopausalen Beschwerden, wie Wallungen, Schlafstörungen, Reizbarkeit. Zudem können sie den Knochenabbau (Osteoporose) verlangsamen und dem Schutz der Blutgefässe vor Arteriosklerose dienen.
Falls eine Hormonersatztherapie wegen Migräne durchgeführt werden muss, sind kontinuierlich durch die Haut aufgenommene Hormone (Pflaster, Gel) vorzuziehen, da der Blutspiegel bei dieser Anwendungsart weniger schwankt als unter Tabletteneinnahme.
Eine in der Menopause rückläufige Migräne kann sich manchmal durch die Hormonersatztherapie wieder verschlechtern. In einem solchen Fall sind Vor- und Nachteile der Behandlung abzuwägen. Dabei sind die subjektive Ausprägung der hormonalen Ausfallserscheinungen sowie das individuelle Osteoporoserisiko gegenüber der Häufigkeit, Schwere und dem Ergebnis der bisherigen, hormonfreien Behandelbarkeit der Migräneanfälle zu gewichten.
Management von PatientInnen mit chronischem Kopfschmerz bei Medikamentenübergebrauch und multimodale Kopfschmerztherapie
Landmann G / Mai 2020
Der Entzug der akutwirksamen Schmerzmedikamente ist ein notwendiger Bestandteil der Behandlung. Prinzipiell kann der Entzug ambulant oder stationär durchgeführt werden. Dies gilt auch für PatientInnen mit Medikamentenübergebrauch wegen sekundären Kopfschmerzen. In komplexen Situationen kann eine anschliessende multimodale Nachbehandlung notwendig sein (Kopfschmerzprogramm/Rehabilitation).
I. Kriterien für einen ambulanten Entzug (Analgetika, NSAR/nichtsteroidale Antirheumatika und Triptane)
- Erster Entzug
- Kurze Anamnese (<2 Jahre)
- Keine relevanten psychosozialen Risikofaktoren und/oder psychisch Komorbidität
- Keine Sedativa, Opioide
Eine multimodale Weiterbehandlung kann erforderlich sein.
II. Kriterien für einen stationären Entzug (Analgetika, NSAR und Triptane)
Bei PatientInnen, die oben genannte Kriterien nicht erfüllen, ist ein stationärer Entzug notwendig. Die Hospitalisationsdauer beträgt ca. 5 Tage. Bei den meisten dieser PatientInnen ist eine stationäre Rehabilitation in einem multimodalen Kopfschmerzprogramm erforderlich.
III. Durchführung des Entzugs von Analgetika, NSAR und Triptanen
- Abruptes Absetzen der akutwirksamen Schmerzmedikation
- Prednison 100 mg/d über 5 Tage (Pageler 2008, Rabe 2013)
- Parallel Etablierung einer medikamentösen Prophylaxe
- Versuch, akutwirksame Schmerzmedikamente in Reserve zu vermeiden; falls doch notwendig: Wechsel der Substanzklasse, ergänzend Antiemetika Kopfschmerzkalender
IV. Durchführung des Entzugs von Opioiden
Der Entzug von Opioiden unterscheidet sich von den o.g. Algorithmen und ist in der Regel nicht in einem neurologischen Setting durchführbar. Sinnvollerweise sollte bei einem Opioidzug eine nichtneurologische Abteilung mit entsprechender Spezialisierung (Schmerzabteilung, anästhesiologische bzw. psychiatrisch/psychotherapeutische oder psychosomatische Abteilung) involviert werden. In den meisten Fällen ist ein stationärer Entzug (mehrere Wochen) notwendig. Ein begleitender regelmässiger Gebrauch von Benzodiazepinen sollte gleichfalls entzogen werden. Danach können die PatientInnen in einem neurologischen Setting weiterbehandelt werden.
V. Multimodale Weiterbehandlung/Multimodale Kopfschmerztherapie
Prinzipiell sollte bei allen PatientInnen mit häufigen bzw. chronischen Kopfschmerzen eine multimodale Therapie in Betracht gezogen werden. Multimodal bedeutet nicht allein die Applikation verschiedener Therapiemodalitäten (s.u.), sondern gewinnt unter dem Konzept des biopsychosozialen Krankheitsmodells chronischer Schmerzen erst bei intensiver Zusammenarbeit aller Therapeutinnen und Therapeuten an Bedeutung und beinhaltet eine ärztliche (Neurologie), psychosoziale (Psychologie/Psychosomatik/Psychiatrie) und eine physiotherapeutische Mitbetreuung.
Eine stationäre Rehabilitation im Rahmen eines multimodalen Kopfschmerzprogrammes (Dauer ca. 3 Wochen) empfiehlt sich bei allen PatientInnen, die stationär entzogen werden müssen. Ein ambulantes Kopfschmerzprogramm (tagesklinisch 1-3 Wochen) sollte bei PatientInnen nach einem ambulanten Entzug angeschlossen werden, nicht selten ist ein solches Programm auch nach Absolvierung eines stationären Programmes zusätzlich notwendig. PatientInnen mit häufigen oder chronischen Kopfschmerzen auch ohne Medikamentenübergebrauch profitieren von multimodalen Kopfschmerzprogrammen.
VI. Indikation für multimodale Kopfschmerzprogramme
- Häufige bzw. chronische Kopfschmerzen
- Psychosoziale Belastungen
- Relevante psychische Komorbiditäten
- Status nach (mehreren) Entzügen, inklusive Status mehreren stationären Aufenthalten (Odyssee)
VII. Bestandteile multimodaler Kopfschmerzprogramme (evidenzbasiert, als Auswahl)
- Pharmakotherapie (Akuttherapie, Prophylaxe), um das primäre Kopfschmerzsyndrom zu behandeln
- Ärztliche Information wie Aufklärung über Kopfschmerzerkrankungen und Therapien
- Physiotherapeutische Inhalte wie aerobes Training/Ausdauertraining, Übungsprogramme für die Nacken- und Kiefermuskulatur, manualtherapeutische Techniken
- Psychologische Therapieinhalte wie Entspannungstechniken (z.B. Progressive Muskelrelaxation nach Jacobson), Biofeedback, Psychotherapie (bei Vorliegen einer psychischen Komorbidität), Psychologische Edukation/Coaching (z.B. psychologische Trigger), Schmerzbewältigung, Schmerzumgang
- Komplementäre-medizinische Verfahren wie Akupunktur - gegebenenfalls interventionelle Verfahren (z.B. N. occipitalis major, Ggl. Gasseri), TENS (transkutane elektrische Nervenstimulation)
Wegen Migräne in der Sprechstunde
Galli U / Mai 2020 (auf der Grundlage einer früheren Version von G. Jenzer, 2013)
Oft geht es nur schon etwas besser, wenn man endlich weiss, woran man leidet. Verschiedene Studien belegen, dass immer noch etwa die Hälfte aller Migräne-Betroffenen den Namen ihrer elenden Plage nicht kennen. Erst die Zuordnung und Benennung durch kompetente Untersucherinnen und Untersucher eröffnet für viele von ihnen die hoffnungsvolle Aussicht auf den Neubeginn einer Geschichte, welche zuvor Jahre oder gar jahrzehntelang ihr Leben begleitet und zuweilen verdorben hat.
Leiden Sie also unter Kopfschmerzen, sollten Sie sich von einer Fachperson für Kopfschmerzen untersuchen lassen, und bestehen Sie dabei auf eine klare Diagnosestellung. Diese verpflichtet die verantwortungsvoll Behandelnden zur Durchführung einer wirksamen Therapie auf dem heutigen Stand des Wissens und Könnens. Dazu sollten Sie jedoch wissen, was Sie selber beitragen können: Migräne ist eine körperliche Erkrankung – die Anlage dazu ist angeboren. Man hat sie einfach, während sie anderen erspart bleibt. Aber dennoch ist gerade bei diesem Leiden der Eigenbeitrag oft von einigem Nutzen.
Zum geeigneten Lebensstil gehören Regelmässigkeit, genügend Schlaf, körperliche Betätigung, Entspannung und Ausgleich, regelmässige aber massvolle Ernährung, sowie das Vermeiden von besonderen Belastungssituationen wie intensiven Lichtwirkungen, auf welche das für Migräne typische „übererregbare“ Gehirn speziell empfindlich ist.
Als kritische Situationen gelten auch grosse emotionale Belastungen aller Art. Diese lassen sich selbstverständlich nicht immer umgehen bzw. gehören zum Leben dazu. Möglich ist aber, einen günstigeren Umgang damit zu erlernen, sich damit auseinander zu setzen in welcher Art und Weise wir auf schwierige Situationen reagieren. Ein vertrauensvolles Gespräch mit Ihrem Arzt oder Ihrer Ärztin oder auch mit einer/m auf Kopfschmerz spezialisierten PsychotherapeutIn kann sinnvoll sein. Wichtig ist auch die möglichst genaue Befolgung der Medikamenteneinnahme bezüglich Dosierung und Einnahmezeitpunkt. Fragen Sie aber auch genau nach und getrauen Sie sich, sich in der Sprechstunde in aller Offenheit und kritisch zu den Vor- und allenfalls auch Nachteilen der getroffenen Massnahmen zu äussern, denn gerade Ihre Erfahrungen bilden die Grundlage für weitere Entscheidungen.
Das erste Ziel der medikamentösen Therapie ist es das geeignete Medikament und die richtige Dosierung zur Behandlung der Migräneattacke zu finden. Diese erste Zielsetzung einer wesentlichen Erleichterung des einzelnen Migräneanfalls gelingt nicht immer auf Anhieb und erfordert von allen Beteiligten Geduld, die sich allerdings lohnt, da bei geeigneter Behandlung die Attacken wesentlich verkürzt, die Schmerzen völlig beseitigt oder stark abgeschwächt und die Lebensqualität erheblich gesteigert wird.
Als zweites Ziel soll im Sinne einer Vorbeugung eine Verminderung der Häufigkeit oder sogar ein völliges Verschwinden der Anfälle angestrebt werden. Zum einen spielt hier das eigene Verhalten (wie oben beschrieben) eine Rolle. Regelmässiges Ausdauertraining ist beispielsweise gleich wirksam wie eine medikamentöse Prophylaxe – sofern es konsequent durchgeführt wird. Können Verhaltensänderungen nicht so einfach umgesetzt werden, können Medikamente verschiedener Kategorien zur Anfallsvorbeugung eingesetzt werden können. Es ist wichtig zu wissen, dass die meisten dieser vorbeugenden Medikamente bei einem bereits eingetretenen Anfall nicht helfen. Hingegen vermögen sie als eine Art Schutzwall weitere Krisen aufzuhalten. Dies bedingt allerdings eine regelmässige Einnahme, also längerfristig und als Prophylaxe. Dies stellt gelegentlich ein Motivationsproblem dar, denn je weiter entfernt der letzte Anfall in Erinnerung liegt, desto eher wird häufig die Notwendigkeit der Einnahme hinterfragt. Umso mehr wenn Nebenwirkungen hinzukommen. Auch hier gilt wiederum, dass eine vertrauensvolle Beziehung zu Ihrem Arzt oder Ihrer Ärztin die Voraussetzung dafür ist, dass Sie bei kritischem Abwägen von erlebter positiver Wirkung und akzeptablen Nebenwirkungen eine medikamentöse vorbeugende Therapie akzeptieren können.
Um das Resultat Ihrer Bemühungen festzuhalten, eignet sich das Führen eines Kopfschmerz-Tagebuchs. Dieses stellt in der Sprechstunde eine überaus wertvolle Grundlage für die weitere therapeutische Orientierung dar.
Die moderne Migränebehandlung gehört zu den wichtigen medizinischen Errungenschaften der letzten Jahre. Da sowohl körperliche als auch emotionale und verhaltensbezogene Aspekte ineinandergreifen und in der Therapie berücksichtigt werden müssen, ist das vertrauensvolle ärztliche Gespräch, gegebenenfalls der Einbezug anderer therapeutischer Fachpersonen und vor allem auch Ihre persönliche Mitwirkung ganz wesentlich. Lassen Sie sich auf dieses Gespräch ein und suchen Sie einen Arzt oder eine Ärztin mit dem oder der dies möglich ist.
Kopfschmerzen und Bildgebung: Ja oder Nein?
E. Taub / Februar 2013
Obschon die meisten Kopfschmerzen zwar gutartig sind, ist Kopfweh gelegentlich das Hauptsymptom einer behandlungsbedürftigen Läsion im Gehirn.
Akute Kopfschmerzen
Beklagt sich die Patientin/der Patient über ein plötzliches Auftreten der „schlimmsten Kopfschmerzen seines Lebens“, mit oder ohne Nackensteifigkeit, einen epileptischen Anfall, oder sonstige neurologische Begleiterscheinungen, sollte er dringend auf die Notfallstation eines Spitals gebracht werden und dort mittels Schädel-Computer-Tomographie untersucht werden, um eine allfällige subarachnoidale oder intraparenchymatöse Hirnblutung aufzufinden.
Subakute Kopfschmerzen
Leidet die Patientin/der Patient an neu aufgetretenen, über mehrere Wochen sich verschlechternden Kopfschmerzen erfolgt eine ambulante bildgebende Untersuchung, vorzugsweise mit Kernspintomographie (MRI). Die Kopfschmerzen sind eventuell auf eine gut- oder bösartige intrakranielle Raumforderung zurückzuführen, welche entweder direkt oder durch einen sekundären Hydrocephalus den Hirndruck erhöht. Subakute Kopfschmerzen bei einem älteren Patientinnen/Patienten erwecken den Verdacht auf ein chronisches Subduralhämatom. Diese Diagnose wird noch wahrscheinlicher, falls in den Wochen zuvor auch nur leichtes Schädel-Hirn-Trauma erlitten wurde und/oder die Patientin/der Patient Aspirin oder orale Antikoagulanzien einnimmt.
Kann die Art der Kopfschmerzen eindeutig einer bestimmten Form zugeteilt werden wie z. B. Kopfschmerzen vom Spannungstyp, Migräne, usw., so ist in der Regel eine Bildgebung des Hirns nicht dringend indiziert, es sei denn, es bestehen Zweifel an der Diagnose oder die Kopfschmerzen sind qualitativ anders als zuvor. Andererseits ist eine Bildgebung indiziert bei jeder Patientin/jedem Patienten mit neuartigen, diagnostisch schwierig einzuordnenden Kopfschmerzen. Bei einem unauffälligen Neurostatus ist die Wahrscheinlichkeit eines positiven Befundes zwar gering, aber die Bilduntersuchung vermindert das Risiko, dass eine behandelbare Läsion sonst undiagnostiziert bleiben könnte.
Chronische Kopfschmerzen
Einige Expertinnen und Experten vertreten die Meinung, dass auch Patientinnen/Patienten, die unter gut einzuordnenden, einem der klassichen Kopfwehsyndromen entsprechenden Kopfschmerzen einmal eine cerebrale Bildgebung haben sollten, vorzugsweise mit MRI. In seltenen Fällen können Hirnläsionen die Symptome der klassischen Kopfwehsyndrome vortäuschen.
Posttraumatische Kopfschmerzen
Palla A, Schmidt H, Schaumann-von Stosch R, Sprenger T / Mai 2020
Kopfschmerzen gehören zu den häufigsten Beschwerden nach Trauma, wobei Verkehrsunfälle (24-58%), Stürze (24-45%) und Sportverletzungen (3-18%) den grössten Anteil der Unfallereignisse ausmachen (1,2). Die internationale Kopfschmerzklassifikation sieht akute und anhaltende Kopfschmerzen nach Trauma vor (Kapitel 5 der ICDH-3). Hauptklassifikationskriterium ist der zeitliche Zusammenhang zwischen dem Auftreten von Kopfschmerzen (innerhalb von 7 Tagen) und dem Trauma. Für anhaltende Kopfschmerzen ist die Persistenz von mehr als drei Monaten ausschlaggebend.
Gemäss einer Untersuchung durch Stovner und Kollegen (3) treten Kopfschmerzen akut in 47.4% der Fälle nach leichten Kopftraumata und in 43.2% der Fälle nach irgendeinem Trauma, welches nicht den Kopf einbezieht, auf. In einer neueren Studie von Lucas und Kollegen beklagten 54% der Patientinnen und Patienten über Kopfschmerzen unmittelbar nach einem leichten Kopftraumata, nach 3 Monaten lag die Prävalenz bei 62% und nach einem Jahr bei 58% (2). Es muss allerdings angemerkt werden, dass die Prävalenzangaben gerade beim anhaltenden Kopfschmerz stark variieren. In einer Studie aus Wien, zum Beispiel, hatten 66% akute post-traumatische Kopfschmerzen nach leichten Kopftraumata, bei keinem der Fälle wurde eine Chronifizierung beobachtet (4). In einer anderen Studie aus Dänemark hatten 10% einen anhaltenden, d.h. einen über 3 Monate andauernden, posttraumatischen Kopfschmerz nach leichtem Kopftrauma (5).
Eine eindeutige Beziehung zwischen dem Ausmass des Traumas und der Stärke der Kopfschmerzen gibt es nicht. Publizierte Daten sprechen vielmehr dafür, dass es möglicherweise eine negative Korrelation zwischen anhaltenden Kopfschmerzen und dem Ausmass des Traumas gibt. So geht aus zwei grösseren Studien hervor, dass leichtere Kopfverletzungen häufiger zu einer Chronifizierung der Kopfschmerzen führen (6,7).
Kopfschmerzen nach einem Trauma sind phänomenologisch inhomogen und können verschiedene Charakteristika primärer Kopfschmerzen aufweisen. Am häufigsten kommen migräniforme und Spannungstyp Kopfschmerzen vor (8).
Der Verlauf nach einer Kopfverletzung sollte kontrolliert werden, d.h. es sollten engmaschige Kontrollen durch die Hausärztin/den Hausarzt (alle 2 bis 3 Tage) bis zum Sistieren von Symptomen stattfinden, ggf. auch eine fachärztliche Abklärung. Als flankierende Massnahmen sollten die Patientinnen und Patienten bei leichter traumatischer Hirnverletzung über die Ungefährlichkeit der Verletzung (natürlich nach bildgebendem Ausschluss einer strukturellen Verletzung) und der Beschwerden aufgeklärt werden. Bei Persistenz der Kopfschmerzen über 2 Wochen oder Auftreten von Warnsymptomen (z.B. neurologische Ausfallssymptomatik, epileptische Anfälle etc.) sollte eine Vorstellung bei der Fachärztin/beim Facharzt für Neurologie erfolgen. Dieser sollte ggf. eine erweiterte Diagnostik vor allem mit MRI veranlassen und auch die psychosozialen Umstände abklären. Insbesondere müssen Komplikationen wie die Entwicklung eines Kopfschmerzes bei Medikamentenübergebrauch bedacht bzw. ausgeschlossen und/oder entsprechend behandelt werden (9, 10).
Bei Persistenz der Kopfschmerzen und nach Ausschluss kausal behandelbarer Ursachen können medikamentöse und nicht-medikamentöse Strategien der Kopfschmerzprophylaxe erwogen werden. Da grössere kontrollierte Studien zur Therapie des posttraumatischen Kopfschmerzes nicht vorliegen, beruhen die Empfehlungen auf der klinischen Erfahrung und orientieren sich an den Leitlinien zum phänotypisch korrespondierenden primären Kopfschmerztyp. Nebst medikamentösen kommen auch immer passive und aktive physiotherapeutische, physikalische, allgemein- und sportmedizinische sowie schmerzpsychotherapeutische Ansätze zum Einsatz. Bei chronischen Verläufen sollte zudem der Aspekt der beruflichen Wiedereingliederung berücksichtigt werden.
Literatur
- Lucas S, Hoffman JM, Bell KR, Dikmen S. A prospective study of prevalence and characterization of headache following mild traumatic brain injury. Cephalalgia. 2014 Feb; 34(2):93-102.
- Kjeldgaard D, Forchhammer H, Teasdale T, Jensen RH. Chronic post-traumatic headache after mild head injury: a descriptive study. Cephalalgia. 2014 Mar; 34(3):191-200.
- Stovner LJ, Schrader H, Mickeviciene D, Surkiene D, Sand T. Headache after concussion. European journal of neurology: the official journal of the European Federation of Neurological Societies. 2009 Jan; 16(1):112-20.
- Lieba-Samal D, Platzer P, Seidel S, Klaschterka P, Knopf A, Wober C. Characteristics of acute posttraumatic headache following mild head injury. Cephalalgia: an international journal of headache.
2011 Dec; 31(16):1618-26. - Zeeberg P, Olesen J, Jensen R. Efficacy of multidisciplinary treatment in a tertiary referral headache centre. Cephalalgia. 2005 Dec; 25(12):1159-67.
- Nampiaparampil DE. Prevalence of chronic pain after traumatic brain injury: a systematic review. JAMA. 2008 Aug 13; 300(6):711-9.
- Lenaerts ME. Post-traumatic headache: from classification challenges to biological underpinnings. Cephalalgia: an international journal of headache. 2008 Jul;28 Suppl 1:125.
- Ashina H, Porreca F, Anderson T, Amin FM, Ashina M, Schytz HW, Dodick DW. Posttraumatic headache: epidemiology and pathophysiological insights. Nat Rev Neurol. 2019 Oct; 15(10):607-617.
- Stosch RS, Schmidt H, Sandor P. Posttraumatic headache-IHS chapter 5. Cephalalgia : an international journal of headache. 2008 Aug; 28(8):908-9.
- Olsesen J. Response to letter: comment by Schaumann et al. Cephalalgia: an international journal of headache. 2008 Aug; 28(8):909.
Spannungskopfschmerz
B. Nater, T. Sprenger, P. Sandor / Februar 2013
Der so genannte Spannungskopfschmerz gehört wie die Migräne zu den primären Kopfschmerzen, d.h. er hat keine identifizierbare Ursache. Obwohl er häufiger ist als die Migräne, gibt es weniger Studien über ihn. Lange wurde er als ein rein psychologisches Leiden angesehen, weshalb er auch unter verschiedenen Namen erörtert wurde wie Stress-Kopfschmerz, psychogener Kopfschmerz, Muskelspasmus-Kopfschmerz oder psychomyogener Kopfschmerz.
Episodische Spannungskopfschmerzen von geringer Häufigkeit beeinträchtigen meist nur wenig das Leben. Häufige oder chronische Spannungskopfschmerzen sind dagegen viel schwerer zu ertragen und vermindern die Lebensqualität.
Der Schmerz ist meistens nicht pulsierend. Er wird beschrieben als eine Schwere oder ein Druck, und ist meistens beidseitig. Er ist weniger stark als der Kopfschmerz der Migräne und wird im Prinzip durch physische Aktivität nicht verstärkt. Übelkeit und Erbrechen sind nicht typisch. Diese charakteristischen Unterschiede erlauben es, Migräne und Spannungskopfschmerz zu unterscheiden, wobei Migränepatientinnen und Migränepatienten meist auch spannungskopfwehartige Episoden erleiden.
Besonders bei chronischem Spannungskopfschmerz ist es nötig, nach anderen Ursachen für die Kopfschmerzen zu suchen. Die Entstehungsmechanismen des Spannungskopfschmerzes sind nur wenig verstanden. Studien haben gezeigt, dass teilweise erhöhte Muskelspannung vorhanden ist, und in der chronischen Form besteht eine Sensibilisierung im zentralen Nervensystem. Im Gegensatz zur Migräne existieren wenig neue Medikamente. Die Behandlung der Spannungskopfschmerzen wird in einem anderen Kapitel erörtert.
Schwindel und Kopfschmerzen
A. Palla / Februar 2013
Schwindel ist nach Rücken- und Kopfschmerzen das dritthäufigste Symptom, über das Patientinnen und Patienten in einer ärztlichen Praxis berichten. Es erstaunt daher nicht, dass Schwindelbeschwerden häufig mit Kopfschmerzen einhergehen. Rein rechnerisch ist ein zufälliges gemeinsames Auftreten beider Erkrankungen in ca. 1 % der Bevölkerung zu erwarten. Werden Patientinnen und Patienten mit Migräne-Kopfschmerzen nach dem Vorliegen von zusätzlichen Schwindelbeschwerden gefragt, zeigt sich interessanterweise jedoch, dass mehr als nur Zufall im Spiel ist. Tatsächlich scheint Schwindel ein Symptom der Migräne zu sein. Liegt dies vor, kann die Ärztin oder der Arzt die Diagnose der sogenannten vestibulären Migräne stellen.
Schwindelbeschwerden bei der vestibulären Migräne können sich sehr vielfältig präsentieren. Die Bandbreite reicht von einem Dreh-, Schwank-, Kipp- bis hin zu einem Lift-Gefühl oder auch nur als Unsicherheits-Empfinden beim Stehen und Gehen. Wichtig ist jedoch, dass die empfundenen Beschwerden immer durch eine Störung des Gleichgewichtes erklärt werden müssen. Liegt mit anderen Worten ein Schwindel der durch einen tiefen Blutdruck verursacht wird (sog. orthostatischer Schwindel) vor, kann die Diagnose einer vestibulären Migräne nicht gestellt werden. Auch ist kritisch anzumerken, dass obwohl der Name dies andeutet, die vestibuläre Migräne häufig ohne Kopfschmerzen einhergeht und von der Dauer durchaus viel kürzer (Sekunden) oder auch viel länger (Tage bis Wochen) als eine typische Migräne-Episode sein kann.
Da sich die vestibuläre Migräne sehr variabel zeigen kann ist die Diagnose häufig schwierig zu stellen. Das gezielte Erfragen folgender Merkmale kann jedoch hilfreich sein:
- es sollten mindestens zwei Schwindel-Episoden vorliegen;
- es sollte eine Migräne vorliegen oder zumindest früher vorgelegen haben;
- mindestens eine Schwindel-Episode sollte mit migränetypischen Symptomen (z.B. Kopfschmerzen, Licht- oder Geräuschempfindlichkeit, Flimmerskotome) einhergegangen sein.
Falls weiterhin selbst nach dem Erfragen dieser Merkmale die Diagnose nicht sicher gestellt werden kann und wenn andere Ursachen des Schwindels ausgeschlossen wurden, kann auch pragmatisch ein Behandlungsversuch unternommen werden. Dabei werden Substanzen eingesetzt, die sich in der akuten und prophylaktischen Therapie von Migränekopfschmerzen als wirksam erwiesen haben.
Soll der Kardiologe das offene Foramen ovale am Herz chirurgisch schliessen um die Häufigkeit der Migräne zu reduzieren?
Biethahn S, Sandor S, Sprenger T / Mai 2020
Nein.
Das PFO (= patent foramen ovale, offenes Foramen ovale) ist eine Öffnung im Herzen, die sich normalerweise im Rahmen der Geburt komplett schliesst. Bei etwa einem Viertel der Bevölkerung findet eben dieser Verschluss nicht oder nur unvollständig statt und es kommt zu einer Verbindung zwischen dem rechten und dem linken Herzen, also dem Körper- und dem Lungenkreislauf. Während normalerweise das aus dem Körper kommende Blut durch die feinen Äderchen in der Lunge gefiltert wird, bevor es zum Gehirn gelangt, ist bei einem PFO eine Abkürzung möglich und eine gewisse Menge „ungefiltertes“ Blut kann direkt ins Gehirn gelangen. Bei Taucherinnen und Tauchern kann es dadurch zu „ungefiltertem“ Übertritt von Luftbläschen in den Hirnblutkreislauf kommen und dadurch neurologische und andere Probleme verursachen.
Anekdotisch wurde berichtet, dass bei Tauchern mit Migräne mit Aura durch einen kardiologischen Verschluss des PFO die Migräne verschwinden kann. Diese Beobachtung und andere Hinweise führten dazu, dass dieser Eingriff als Therapiemöglichkeit für Migräne mit Aura diskutiert und teilweise auch durchgeführt wurde. In der Folge wurden mehrere Studien über die Wirksamkeit des Verschlusses des PFO bei Migräne publiziert. Die bis jetzt vorliegenden grösseren Studien waren entweder negativ, d.h. sie zeigten keine oder allenfalls eine geringe Verbesserung der Migräne durch den Verschluss. Noch offen ist die Frage, ob die Behandlung bei einer Untergruppe von Patientinnen und Patienten mit häufiger Migräne mit Aura, die auf mehrere andere Therapien nicht angesprochen haben, sinnvoll ist. Zu berücksichtigen ist weiterhin, dass auch ein kleiner Eingriff wie der PFP-Verschluss gewisse Risiken birgt.
Somit kann gesamthaft zum aktuellen Zeitpunkt keine Empfehlung für einen Verschluss eines PFO als Therapie der Migräne gegeben werden.
Triptane sind wirksam, aber nicht immer und nicht bei jedem
Biethahn S, Sandor P / Mai 2020
Zur Akutbehandlung der Migräne sind seit über 15 Jahren die so genannten Triptane auf dem Markt, die eine neue Kategorie der Wirksamkeit in der Behandlung der Migräne gebracht haben. Anfälle, die früher teils über Tage anhielten, können nun oft innerhalb von Stunden gut kontrolliert werden und viele Patientinnen und Patienten haben durch diese Substanzklasse einen grossen Teil an Lebensqualität zurück gewonnen. Triptane helfen bei Migräne, bei Clusterkopfschmerz und bei einigen anderen seltenen Kopfwehformen; bei einem echten Spannungskopfweh sind sie hingegen nicht wirksam.
Es gibt verschiedene Triptane, die sich vor allem in der Geschwindigkeit des Wirkeintritts, der Dauer der Wirkung und in der Darreichungsform (Tabletten, Schmelztabletten, Nasenspray, Spritzen) unterscheiden. Dies wird bei der Wahl eines Triptans in Abhängigkeit vom individuellen Migräneverlauf berücksichtigt. Dennoch kommt es vor, dass ein oder zwei Triptane nicht wirken. Es ist dann gleichwohl sinnvoll, noch ein drittes oder viertes Triptan zu probieren.
Bei manchen Patientinnen und Patienten treten etwas unangenehme, aber harmlose Nebenwirkungen auf, wie z.B. ein Engegefühl im Brustbereich. Insgesamt haben sich die Triptane aber in der mehrjährigen klinischen Erfahrung als sehr wirksame und gut verträgliche Substanzklasse erwiesen. Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass in der Vergangenheit kein Herz- oder Hirninfarkt aufgetreten und das Herz-Kreislaufsystem gesund ist. Wichtig ist auch, dass eine zu häufige Einnahme von Triptanen (häufiger als ca. acht Tage pro Monat) mit einem erhöhten Risiko der Entwicklung von Medikamentenübergebrauchskopfschmerzen einhergeht.
Empfehlungen zur Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit aufgrund von Kopfschmerzen
Schmidt H, Emmenegger M, Schaumann R , S. Biethahn S / Mai 2020
Grundsatz: Diagnostik und Behandlung vor Arbeitsunfähigkeit.
Arbeitsunfähigkeit unter hausärztlicher Behandlung:
- Kurzzeitarbeitsunfähigkeit mit und ohne ärztliches Zeugnis max. an 5 Tagen/Jahr
- Keine Langzeitarbeitsunfähigkeit aufgrund von Kopfschmerzen
Wenn dies nicht erreichbar ist, Zuweisung zur neurologischen Beurteilung:
- Diagnosesicherung, insbesondere Abklärung MOH
- Einleitung/Optimierung der Akuttherapie
- Etablierung einer Prophylaxe
- Pharmakologisch
- Nicht-medikamentös
Arbeitsunfähigkeit unter neurologischer Behandlung:
- Kurzzeitarbeitsunfähigkeit mit und ohne ärztliches Zeugnis üblicherweise nur wenige Tage/Jahr.
- Langzeitarbeitsunfähigkeit aufgrund von primären Kopfschmerzen nur in Ausnahmefällen mit entsprechender fachneurologischer Plausibilisierung / Begründung
- Bei sekundären Kopfschmerzen ist eine interdisziplinäre Beurteilung Voraussetzung
Ungewöhnliche Formen von Kopfschmerzen
Sendung von gesundheitheute vom 11. Mai 2013
Kopfweh kennt fast jede/r. Doch Kopfweh ist nicht gleich Kopfweh. Es gibt rund zweihundert verschiedene Arten von Kopfschmerzen. «Gesundheit heute» konzentriert sich auf atypische Kopfschmerzen wie die attackenartigen extremen «Clusterkopfschmerzen» oder die plagenden Wahrnehmungsstörungen bei Migräne. Die Redaktion wagt auch einen Blick auf ungewöhnliche Auslöser für Kopfschmerzen, zum Beispiel Kälte, Husten oder Sex.
In der Rubrik «Akzent» berührt die Lebensgeschichte einer 16jährigen jungen Frau, die trotz schwerer Erbkrankheit das Lachen nicht verloren hat.
Hier geht es weiter zur Sendung.
Vestibuläre Migräne
Palla A, Gobbi C, O. Meienberg O / Mai 2019
Die vestibuläre Migräne ist die häufigste Ursache für rezidivierende, spontan auftretende Schwindelattacken. Etwa 1 % der westlichen Weltbevölkerung ist davon betroffen (1). Die Ursache der vestibulären Migräne ist unklar, v.a. besteht Uneinigkeit, ob es sich bei der vestibulären Migräne um eine eigenständige Entität oder um einen Untertyp des Migräne-Kopfschmerzes handelt, bei der vestibuläre Symptome wie das Erbrechen oder die Lichtempfindlichkeit als Begleitsymptome aufteten (2).
Patientinnen und Patienten mit vestibulärer Migräne berichten über Schwindelsymptome (Dreh- oder Schwankschwindel, Gangunsicherheit, Benommenheitsgefühl) von mäßiger oder schwerer Intensität, die zwischen 5 Minuten und 72 Stunden andauern und mindestens zu 50% mit Migränekopfschmerzen, Licht- und Lärmempfindlichkeit und Übelkeit assoziiert sind. Um die Diagnose einer vestibulären Migräne anhand der internationalen Kopfschmerzgesellschaft (ICHD-3) und der Bárány-Gesellschaft (Internationale Gesellschaft für Neurootologie) zu stellen, muss bei den Patientinnen und Patienten auch eine ‘klassische’ Migräne vorliegen oder früher vorgelegen haben.
Die Behandlung der vestibulären Migräne richtet sich nach den Leitlinien für den Migränekopfschmerz. Dies unter der Annahme gemeinsamer pathophysiologischer Vorgänge sowie dem Fehlen grösserer Placebo-kontrollierter Studien. Zur Akuttherapie gibt es zwei kleinere randomisierte kontrollierte klinische Studien mit den Triptanen Rizatriptan und Zolmitriptan. In der Rizatripanstudie wurde eine signifikante Wirksamkeit auf die typischen Symptome einer Reisekrankheit nachgewiesen, in der Zolmitriptan-Studie die Wirksamkeit auf die Schwere der vestibulären Migräneattacken. (3, 4). Zur Behandlung der Übelkeit empfiehlt sich Dimenhydrinat, welches eine nachgewiesene Wirkung bei der Reisekrankheit und bei akuten vestibulären Ausfällen hat (5). Als Prophylaxe-Medikamente empfehlen sich in erster Linie Betablocker und Flunarizin, in zweiter Wahl auch Topiramat oder Valproinsäure (6). Vorsicht ist geboten beim Einsatz von Betahistidin, welches in der Behandlung von Schwindelpatientinnen und Schwindelpatienten häufig benutzt wird, jedoch Kopfschmerzen verursachen kann.
Literatur
- Neuhauser HK, et al. Epidemiology of vestibular vertigo: a neurotologic survey of the general population. Neurology 2005
- Stolte B et al. Vestibular migraine. Cephalalgia 2015
- Furman JM, Marcus DA, Balaban CD. Rizatriptan reduces vestibular-induced motion sickness in migraineurs. J Headache Pain 2011;12:81–8
- Neuhauser HK et al. Zolmitriptan for treatment of migrainous vertigo: a pilot randomized placebo-controlled trial. Neurology 2003
- Zwergal A, Strupp M. Medikamentöse Therapie bei Schwindel: Was gibt es Neues? DNP 2019
- Obermann, M. Diagnose und therapeutische Optionen bei vestibulärer Migräne. Schmerzmedizin 2019
Cannabinoide und Opioide bei Kopfschmerzen
Sturzenegger M, Flügel D, Iff T / Mai 2020
Es gibt keinerlei Evidenz für die Wirksamkeit von Cannabispräparaten in der Behandlung von Kopfschmerzen Opiate bei Kopfschmerzen
- Prinzipiell besteht die Gefahr der Abhängigkeit besonders bei prädisponierten Personen und bei längerem Gebrauch.
- a. Bei primären Kopfschmerzen gibt es keine wissenschaftliche Evidenz
für den Einsatz in der Akutbehandlung.
b. Bei chronischen primären Kopfschmerzen und als Prophylaxe gibt es für
Opioide keine Wirksamkeitsevidenz aber erhebliche Risiken. - Bei akuten symptomatischen sekundären Kopfschmerzen (wie traumatischen, Meningitis, Subarachnoidalblutung) ist der kurzfristige Einsatz bei klarer Diagnose vertretbar.
Chirurgische und interventionelle Therapien bei primären Kopf- und Gesichtsschmerzen
A. Gantenbein, M. Sturzenegger, E. Taub / Februar 2013
Zur Behandlung der Migräne und von Spannungskopfschmerzen steht zur Zeit kein chirurgischer Eingriff zur Verfügung, dessen Wirksamkeit wissenschaftlich belegt ist. Insbesondere sind chirurgische Eingriffe im Nasen- und Nasennebenhöhlenbereich (endonasale Eingriffe), im Gesicht (Excision von Stirn- und anderen Kopfmuskeln, Zahnextraktionen), wie auch der Verschluss (endovasal oder chirurgisch) eines offenen Foramen ovales und Lasereingriffe am Auge bestenfalls experimentell und mit Komplikationsrisiken befrachtet. In Analogie zu den Richtlinien anderer internationaler Kopfschmerzgesellschaften raten wir von solchen Massnahmen generell ab.
- Injektionen mit Botulinustoxin haben einen günstigen Effekt bei chronischer Migräne mit oder ohne Medikamentenübergebrauch.
- Akupunktur zeigt eine vergleichbare Wirksamkeit wie Standardmedikamente oder „Scheinakupunktur“ in der Behandlung der Migräne.
- Für alle anderen interventionellen, auch komplementärmedizinischen, Massnahmen besteht bestenfalls ein Placeboeffekt.
Beim chronischen und therapierefraktären Clusterkopfschmerzen kann ein chirurgischer Eingriff erwogen werden. Die Indikation dazu muss interdisziplinär an einem spezialisierten (universitären) Zentrum evaluiert und gestellt werden. Es werden verschiedene Neurostimulationsverfahren zur Zeit evaluiert (N. occipitalis- , Tiefenhirn- Stimulation oder Stimulation des Ganglion sphenopalatium).
Bei idiopathischen Trigeminus- und anderen Hirnnervenneuralgien ist bei ungenügender Medikamentenwirksamkeit oder inakzeptablen Nebenwirkungen ein neurochirurgischer Eingriff indiziert. Die verfügbaren, in ihrer Wirksamkeit bestätigten Methoden sind eine offene Operation am Trigeminusnerv bei seinem Ausgang vom Hirnstamm (die sog. mikrovaskuläre Dekompression nach Jannetta), verschiedene Nadeleingriffe unter Lokalanästhesie (Thermokoagulation oder Glyzerolinjektion) und eine fokussierte Bestrahlung der Nervenaustrittszone (sog. Radiochirurgie). Die geeignete Wahl unter diesen Behandlungsmethoden für die einzelne Patientin/den einzelnen Patienten ist jeweils mit der Neurochirurgin/dem Neurochirurgen zu besprechen.
Kopfschmerz und Psychische Komorbidität - Chronischer Kopfschmerz
Galli U. / Mai 2020
Episodische Kopfschmerzen lassen sich meist gut medikamentös und/oder mit individuellen Verhaltensanpassungen behandeln. Liegen allerdings psychosoziale Belastungen oder komorbide psychische Erkrankungen vor, wird sowohl die Krankheitsschwere als das Behandlungsergebnis deutlich negativ beeinflusst und begünstigt einerseits einen Medikamentenübergebrauch als auch den Übergang von einem episodischen zu einem chronischen Kopfschmerz. Grundsätzlich kann jeder episodische Kopfschmerz chronisch werden. Von chronischen Kopfschmerzen spricht man bei einer Kopfschmerzhäufigkeit von mindestens 15 Tagen pro Monat für mindestens 3 Monate. Faktoren die zu einer Kopfschmerzchronifizierung beitragen können sind die zugrundeliegende Kopfschmerzdiagnose und psychosoziale Begleitfaktoren.
Bei jedem Kopfschmerzpatienten sollte daher in der Anamnese und im Behandlungsverlauf auf Stressoren geachtet werden, wie berufliche und familiäre Schwierigkeiten, ungeklärte Versicherungssituation bzw. laufendes Rentenverfahren oder ungelöste persönliche Konflikte sowie auf Hinweise bzgl. psychischen Erkrankungen wie Depressionen, Angststörungen, Schlafstörungen oder Suchterkrankungen. Unabhängig von der Ursache des Stresses kann von mindestens einer Verdoppelung des Kopfschmerzrisikos durch Stress ausgegangen werden. Die Häufigkeit für psychische Erkrankungen ist bei Kopfschmerzerkrankungen um das zwei- bis dreifache erhöht im Vergleich zur nichtkopfschmerzbetroffenen Bevölkerung. Am häufigsten finden sich Angsterkrankungen, gefolgt von Depressionen. Eine grosse populationsbasierte Studie in 10 EU-Ländern ergab für Migränebetroffene eine Wahrscheinlichkeit von 19.1 % für Angststörungen, 6.9 % für Depression und 5.1 % für beides zusammen – deutlich höher als die repräsentative Stichprobe aus der Allgemeinbevölkerung (14.3, 5.6 und 3.8 %). Weit höher noch sind die Zahlen für Betroffene mit MÜKS (38.8, 16.9 und 14.4 %), während in der Gruppe mit Spannungskopfschmerz die Zahlen denen der Allgemeinbevölkerung ähneln. Ein frühzeitiges Erkennen und eine Behandlung dieser Faktoren sind unerlässlich für eine erfolgreiche Kopfschmerztherapie. Fragebögen können helfen, Kontextfaktoren zu erfassen. Zur Diagnostik von psychischen Begleiterkrankungen sollte die Überweisung zu einer Fachperson mit Erfahrung in der Schmerztherapie (PsychotherapeutIn, PsychiaterIn) erfolgen.
Die Schmerzpsychotherapie ist ein inzwischen gut etabliertes Verfahren, welches verschiedene psychotherapeutische Interventionen umfasst, wie die Verbesserung der Körperwahrnehmung und Entspannungsfähigkeit, Copingstrategien zur besseren Schmerz-, Stress- und Konfliktbewältigung, sowie Psychotherapie der affektiven bzw. Angstsymptomatik. Ziel ist es, einer weiteren Schmerzchronifizierung mit der Ausbildung chronischer Kopfschmerzen entgegenzuwirken bzw. die Kopfschmerzen wieder auf ein erträgliches Ausmass zu reduzieren und die Lebensqualität zu erhöhen. Gelegentlich ist eine intensive multimodale stationäre Therapie in einer geeigneten Klinik mit etabliertem Schmerzprogramm erforderlich. Liegt zusätzlich ein Übergebrauch von Kopfschmerzmedikamenten vor, muss ein stationärer Medikamentenentzug mit nachfolgender multimodaler Schmerztherapie erfolgen. Multimodale Schmerztherapie beinhaltet miteinander koordinierte ärztliche, psychologische und körpertherapeutische Interventionen, sowie häufig zusätzliche Methoden (z.B. Ergotherapie, Kunsttherapie). Schmerzpsychotherapie und insbesondere deren Einbettung in ein multimodales Therapiesetting ist wirksam und gilt als „State of the Art“ einer evidenzbasierten Schmerztherapie.
Literatur
- Albers L et al (2014) Potentiell vermeidbare Risikofaktoren für primäre Kopfschmerzen. Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 57(8)
- Burch RC et al. (2019). Migraine: Epidemiology, Burden, and Comorbidity. Neurologic Clinics 37(4)
- Buse et al. (2013). Psychiatric comorbidities of episodic and chronic migraine. J Neurology 260(8)
- Lampl C et al. (2016) Headache, depression and anxiety: associations in the Eurolight project. J Headache Pain 17:59
- Penzien DB et al. (2015) Well-Established and Empirically Supported Behavioral Treatments for Migraine. Current pain and headache reports 19(7):34.
- Saunders et al. (2008). Impact of comorbidity on headache-related disability. Neurology 70(7)
- Steiner T et al. (2014) The impact of headache in Europe: principal results of the Eurolight project. J Headache Pain 15:31
Die Psychotherapie bei Kopfschmerzen
Bärlocher D / Mai 2020
Muss ich als Migräniker / Migränikerin, Kopfwehpatientin oder Kopfwehpatient jetzt auch noch zur Psychologin/zum Psychologen?
Nein, zur Psychologin/zum Psychologen müssen Sie nicht wegen der Kopfschmerzen. Um die Kopfschmerzen und die übrigen Missempfindungen im Körper kümmert sich Ihre Ärztin oder Ihr Arzt. Sie oder er sorgt auch dafür, dass Sie die wirkungsvollsten Medikamente erhalten.
Eine Psychologin oder ein Psychologe hingegen kann für Sie sinnvoll sein wegen den Folgen der Kopfschmerzen. Sie kümmert sich um die manchmal verheerenden Auswirkungen des chronischen Kopfwehs. Wenn Ihr Alltag, Ihre Lebensqualität, Ihre Familie und Ihre Beziehungen durch die Kopfschmerzen bedroht sind, kann eine Schmerzpsychotherapie helfen.
Das braucht keine unendliche Geschichte zu werden. Sie sollten nach wenigen Sitzungen wissen und entscheiden können, ob die Therapie bei Ihnen den gewünschten Effekt erzielt, wobei Sie gegen die Schmerzen weiterhin Medikamente brauchen. Aber für ein neues oder vertieftes Begreifen Ihres Leidens hilft die Schmerzpsychotherapie. Ein mit Kopfschmerzen vertraute Psychologin/vertrauter Psychologe kann Ihnen ein nützlicher Coach sein, denn: Linderung kommt nicht selten von aussen, wie viele Auslöser der Kopfschmerzen auch.
Patientinnen und Patienten berichten nach einer solchen Therapie, sie hätten ihr Kopfweh besser im Griff. Sie haben ein körpereigenes Frühwarnsystem entwickelt und ihren Arbeitsalltag anders eingeteilt.
Besprechen Sie das bitte mit Ihrer Ärztin oder Ihrem Arzt. Er kann Sie dann einer Schmerzpsychotherapeutin/einem Schmerzpsychotherapeuten zuweisen.
Welchen Stellenwert hat Physiotherapie bei primären Kopfschmerzen?
Böttiger K, Physiotherapeutin / Mai 2020
Das Ausdauertraining besitzt einen hohen Stellenwert bei der Migräne aber auch beim episodischen und chronischen Kopfschmerz vom Spannungstyp. Ein moderates/aerobes Ausdauertraining kann die Anzahl der Attacken, die Schmerzintensität und –dauer reduzieren. Welche Ausdauerformen gehören dazu und welche haben den besten Effekt? Zu nennen sind Nordic Walking, leichtes Joggen, Wandern, Schwimmen, Aerobic und Skilanglauf. Beim Trainieren an Geräten wird das Fahrrad, Laufband, Rudern und der Crosstrainer empfohlen. Voran steht die Freude an der Bewegung zu finden, um diese in das Leben zu integrieren, zumal es keinen Hinweis für die Überlegenheit einer bestimmten Sportart gibt.
Ein geeignetes Übungsprogramm für die Nacken- und Kiefermuskulatur können gute Ergebnisse zeigen, ähnlich wie beim Ausdauertraining. Übungen können anstatt oder besser in Kombination mit Ausdauertraining angewendet werden.
Manualtherapeutische Techniken können angewendet werden, wenn diese bei der Testung einen positiven Einfluss auf die Schmerzen haben. Sie können dann als unterstützende Massnahme eingesetzt werden, um die sportlichen Aktivitäten zu erleichtern. Als alleinige Massnahme sollten Manualtherapeutische Techniken nicht eingesetzt werden.
Die Beratung der Patientinnen und der Patienten zeigt ebenfalls einen positiven Effekt. In der Beratung sollten Kopfschmerztypen, Zusammenhänge und physiotherapeutische Behandlungsoptionen besprochen werden, sowie sind Strategien zur Verbesserung des Selbstmanagements zu erarbeiten. Fachübergreifend sind die Auswirkung von Stress und einem veränderten Schlafverhalten auf die Schmerzen anzusprechen, um gegebenfalls weiter unterstützende psychologische Therapieverfahren zu integrieren.
Die Kombination aus Ausdauertraining, Übungen (auch für das Gleichgewicht) und die Beratung von Patienten zeigen die bestmögliche Wirkung der Physiotherapie bei primären Kopfschmerzen.
Management von PatientInnen mit chronischem Kopfschmerz bei Medikamentenübergebrauch und multimodale Kopfschmerztherapie
P. Sandor, G. Landmann, E. Taub, G. Merki / Juli 2015
Der Entzug der akutwirksamen Schmerzmedikamente ist ein notwendiger Bestandteil der Behandlung. Prinzipiell kann der Entzug ambulant oder stationär durchgeführt werden. Dies gilt auch für PatientInnen mit Medikamentenübergebrauch wegen sekundären Kopfschmerzen. In komplexen Situationen kann eine anschliessende multimodale Nachbehandlung notwendig sein (Kopfschmerzprogramm / Rehabilitation).
I. Kriterien für einen ambulanten Entzug (Analgetika, NSAR und Triptane)
- Erster Entzug
- Kurze Anamnese (<2 Jahre)
- Keine relevanten psychosozialen Risikofaktoren und/ oder psychische Komorbidität
- Keine Sedativa, Opioide
Eine multimodale Weiterbehandlung kann erforderlich sein.
II. Kriterien für einen stationären Entzug (Analgetika, NSAR und Triptane)
Bei PatientenInnen, die oben genannte Kriterien nicht erfüllen, ist ein stationärer Entzug notwendig. Die Hospitalisationsdauer beträgt ca. 5 Tage. Bei den meisten dieser PatientInnen ist eine stationäre Rehabilitation in einem multimodalen Kopfschmerzprogramm erforderlich.
III. Durchführung des Entzugs von Analgetika, NSAR und Triptanen
- Abrupter Entzug akutwirksamer Schmerzmedikation
- Prednison 100 mg/d über 5 Tage (Pageler 2008, Rabe 2013)
- Parallel Etablierung einer medikamentösen Prophylaxe
- Versuch, akutwirksame Schmerzmedikamente in Reserve zu vermeiden;
falls doch notwendig: Wechsel der Substanzklasse, ergänzend Antiemetika - Kopfschmerzkalender
IV. Durchführung des Entzugs von Opioiden
Der Entzug von Opioiden unterscheidet sich von den o.g. Algorithmen und ist in der Regel nicht in einem neurologischen Setting durchführbar. Sinnvollerweise sollte bei einem Opioidzug eine nichtneurologische Abteilung mit entsprechender Spezialisierung (Schmerzabteilung, anästhesiologische bzw. psychiatrisch/psychotherapeutische oder psychosomatische Abteilung) involviert werden. In den meisten Fällen ist ein stationärer Entzug (mehrere Wochen) notwendig. Ein begleitender regelmässiger Gebrauch von Benzodiazepinen sollte gleichfalls entzogen werden. Danach kann die Patientin in einem neurologischen Setting weiterbehandelt werden.
V. Multimodale Weiterbehandlung / Multimodale Kopfschmerztherapie
Prinzipiell sollte bei allen Patienten mit häufigen bzw. chronische Kopfschmerzen eine multimodale Therapie in Betracht gezogen werden. Multimodal bedeutet nicht allein die Applikation verschiedener Therapiemodalitäten (s.u.), sondern gewinnt erst bei intensiver Zusammenarbeit aller Therapeuten an Bedeutung und beinhaltet eine psychologische, psychosomatische oder psychiatrische Mitbetreuung.
Eine stationäre Rehabilitation im Rahmen eines multimodalen Kopfschmerzprogrammes (Dauer ca. 3 Wochen) empfiehlt sich bei allen Patienten, die stationär entzogen werden müssen. Ein ambulantes Kopfschmerzprogramm (tagesklinisch 1-3 Wochen) sollte bei Patienten nach einem ambulanten Entzug angeschlossen werden, nicht selten ist ein solches Programm auch nach Absolvierung eines stationären Programmes zusätzlich notwendig. Patienten mit häufigen oder chronischen Kopfschmerzen auch ohne Medikamentenübergebrauch profitieren von multimodalen Kopfschmerzprogrammen.
VI. Indikation für multimodale Kopfschmerzprogramme
- Häufige bzw. chronische Kopfschmerzen
- Psychosoziale Belastungen: beruflich, sozial, familiär
- Relevante psychische Komorbiditäten
- St.n. (mehreren) Entzügen, inklusive stationär (Odyssee)
VII: Bestandteile multimodaler Kopfschmerzprogramme (evidenzbasiert, als Auswahl)
- Pharmakotherapie (Akuttherapie, Prophylaxe), um das primäre Kopfschmerzsyndrom zu behandeln
- Aerobes Training
- Psycho-Edukation / Coaching (z.B. psychologische Trigger)
- Physiotherapie
- Medizinische Massage
- Entspannungstechniken (z.B. Progressive Muskelrelaxation nach Jacobson)
- Biofeedback
- Psychotherapie (bei Vorliegen einer psychischen Komorbidität)
- Akupunktur
- allenfalls interventionelle Verfahren (z.B. N. occipitalis major, Ggl. Gasseri)
Wegen Migräne in der Sprechstunde
G. Jenzer / Februar 2013
Oft geht es nur schon etwas besser, wenn man endlich weiss, woran man leidet. Laut einer Studie aus Frankreich kennen etwas mehr als die Hälfte aller Migräne-Patientinnen und Migräne-Patienten den Namen ihrer elenden Plage vor der Feststellung durch kompetente Untersucherinnen/Untersucher nicht. Die Zuordnung und Benennung eröffnet damit für viele von ihnen erstmals die hoffnungsvolle Aussicht auf den Neubeginn einer Geschichte, welche zuvor Jahre oder gar jahrzehntelang ihr Leben begleitet und zuweilen verdorben hat.
Bestehen Sie also auf der klaren ärztlichen Diagnosestellung. Diese verpflichtet die verantwortungsvoll Behandelnden - beim heutigen Stand des Wissens und Könnens - zu wirksamer Gegenwehr.
Dazu sollten Sie jedoch wissen, was Sie selber beitragen können: Migräne ist dem Wesen nach unverschuldet. Man hat sie einfach, während sie anderen erspart bleibt. Aber dennoch ist gerade bei diesem Leiden der Eigenbeitrag oft von einigem Nutzen.
Zum geeigneten Lebensstil gehören Regelmässigkeit, genügend Schlaf, körperliche Betätigung, häufiges jedoch massvolles Essen und Trinken, sowie das Vermeiden von besonderen Belastungssituationen wie intensiven Lichtwirkungen, auf welche das für Migräne typische „übererregbare“ Gehirn speziell empfindlich ist.
Als kritische Situationen gelten auch grosse emotionale Belastungen aller Art. Dass gerade diese nicht immer zu umgehen sind, versteht sich von selbst. Es wäre überhaupt reine Illusion zu meinen, nur dieses oder jenes zu tun oder zu lassen genüge, um so mit dem bösen Übel ganz alleine fertig zu werden. Dass man sich à la Baron von Münchhausen am eigenen Schopf aus dem Sumpf zieht, funktioniert ja erfahrungsgemäss bei einem bereits richtig in Gang gekommenen Migräneanfall ganz und gar nicht.
Unangebracht also, sich mit Händen und Füssen zu wehren, wenn Hilfe angeboten wird. Volles - nicht etwa blindes - Vertrauen ist angesagt. Dazu gehört ganz besonders die möglichst genaue Befolgung der Medikamenteneinnahme. Wenn Sie die Ratschläge befolgt haben, dürfen und müssen Sie sich in der Sprechstunde in aller Offenheit und kritisch zu den Vor- und allenfalls auch Nachteilen der getroffenen Massnahmen äussern, denn gerade Ihre Erfahrungen bilden die Grundlage für weitere Entscheidungen.
Wie Sie bis zur Genüge erleben mussten, verläuft jede unbehandelte Migräneattacke irgendwie gleich, aber doch auch meistens wieder etwas anders. Unter der Wirkung von Migräneanfalls-Medikamenten werden diese Unterschiede in aller Regel auf positive Weise sehr viel deutlicher. Wenn nämlich die passenden Mittel in der angemessenen Dosierung, zum richtigen Zeitpunkt eingenommen werden und auch akzeptabel verträglich sind, erweisen sich die Attacken als wesentlich verkürzt, die Schmerzen beseitigt oder stark abgeschwächt und die Lebensqualität erheblich gebessert. Diese erste Zielsetzung einer wesentlichen Erleichterung des einzelnen Migräneanfalls muss erreicht werden, was jedoch nicht immer gerade auf Anhieb gelingt.
Als zweites Ziel soll im Sinne von Vorbeugung eine Verminderung oder ein Verschwinden der Anfälle angestrebt werden. Zum einen spielt hier das eigene Verhalten eine Rolle, zum andern aber auch oft und entscheidend der gezielte Einsatz verschiedener Medikamentenkategorien. Es ist wichtig zu wissen, dass die meisten dieser vorbeugenden Medikamente bei einem bereits eingetretenen Anfall nicht helfen. Hingegen vermögen sie als eine Art Schutzwall weitere Krisen aufzuhalten. Dies bedingt allerdings eine regelmässige Einnahme, also längerfristig und als Prophylaxe. Je weiter entfernt der letzte Anfall in Ihrer Erinnerung liegt, werden Sie dann zunehmend die Einnahme hinterfragen, weil es Ihnen ja gut geht. Ihre Motivation wird umso fragwürdiger, sofern noch Nebenwirkungen hinzukommen. Um das Resultat Ihrer Bemühungen festzuhalten, eignet sich das Führen eines Kopfschmerz-Tagebuchs. Dieses stellt in der Sprechstunde eine überaus wertvolle Grundlage für die weitere therapeutische Orientierung dar.
Die moderne Migränebehandlung gehört zu den wichtigen medizinischen Errungenschaften der letzten Jahre. Die hinzugewonnenen Erkenntnisse über zweckmässiges Verhalten, im Einklang mit der Verwendung von Anfalls- wie Vorbeugungsmedikamenten, eröffneten neue Perspektiven. Die breite Palette der Medikamente bedarf einer fallweisen Anpassung in Art und Dosierung, erwünschte und unerwünschte Effekte sind gegeneinander abzuwägen. Die Auswahl ist so gross - und demzufolge auch Ihre persönliche Mitwirkung so entscheidend - wie nie zuvor!
Wenn das Hirn im roten Bereich dreht
Migräne hat nicht psychische, sondern neurologische Ursachen. Trotz ihrer enormen Häufigkeit ist die Entstehung immer noch nicht restlos geklärt.
Den ganzen Artikel zu diesem Thema aus der Ausgabe der SonntagsZeitung vom 03. November 2019 finden Sie hier.
Medikamentenübergebrauchskopfschmerz (MÜKS)
Stellmes P. Koch J W / Mai 2020 (auf der Grundlage einer früheren Version von Jäger J)
Ein Schmerz ist immer eine unangenehme Empfindung, das gilt natürlich auch für Kopfschmerzen. Schon leichtes Kopfweh kann sehr störend sein, sehr starke Beschwerden verunmöglichen die Weiterführung der Arbeit und die Teilnahme am sozialen Leben. Was liegt einem da näher als sich Linderung zu verschaffen? Das ist schon seit mehr als zweitausend Jahren so. Rasch geschieht der Griff zu Schmerzmitteln, welche zudem oft leicht erhältlich sind.
Gegen den Einsatz von Schmerzmitteln bei Kopfschmerzen ist auch nichts einzuwenden. Nur hat die Sache einen Haken: Die Kopfwehmittel können auch selber Kopfschmerzen verursachen. Bei längerdauernder, regelmässiger Einnahme von Akutmitteln kann sich ein Dauerkopfschmerz einstellen, wobei alle Schmerzpräparate mögliche Verursacher dieser Kopfwehform sind.
Bei einfachen Schmerzmitteln, die nur einen Wirkstoff enthalten (z.B. ASS, Ibuprofen, Paracetamol), kann ein Medikamentenübergebrauchskopfschmerz bei Einnahme an mehr als 15 Tagen monatlich über länger als 3 Monate verursacht werden. Bei Mischpräparaten (bei den Inhaltsangaben im Beipackzettel sind mehrere Substanzen aufgeführt, z.B. mit ASS, Paracetamol und Koffein), Opiaten oder spezifischen Migränemedikamenten (Triptane) ist die Gefahr grösser als beim Gebrauch einfacher Schmerzmittel. Hier kann ein Medikamentenübergebrauchskopfschmerz bereits bei Einnahme an mehr als 10 Tagen monatlich über länger als 3 Monate verursacht werden.
Wenn bei chronischen Kopfschmerzen (15 oder mehr Tage pro Monat) auch entsprechend oft Schmerzpräparate eingenommen werden und sich der Kopfschmerz über mehrere Monate verschlechtert, resp. chronifiziert hat, kann die Diagnose eines Medikamentenübergebrauchskopfschmerz (abgekürzt MÜKS) gestellt werden.
Behandlung des Medikamentenübergebrauchskopfschmerz
(MÜKS) Koch J W
Die Behandlung des MÜKS erfordert in den meisten Fällen das vollständige Absetzen der Schmerzmedikamente (Medikamentenpause) sowie parallel dazu die Durchführung einer medikamentösen Prophylaxe als Basistherapie für die weitere Kopfschmerzbehandlung (z.B. mit Topiramat oder der neuen Antikörpertherapie Erenumab, Galcanezumab oder Fremanezumab).
Ergänzend wertvoll sind zudem nicht-medikamentöse Prophylaxe-Therapien wie physikalische Behandlungen/ medizinische Massagen, regelmässiges Ausdauertraining (z.B. Nordic Walking, Schwimmen, Jogging, Velofahren), Entspannungstherapien, Biofeedbacktherapie und Cefaly-Neurostimulation. Ausserdem kann eine psychologische Unterstützung zur Erarbeitung von Strategien zur Triggervermeidung und Schmerzverarbeitung hilfreich sein.
In komplexen Fällen mit zahlreichen zusätzlichen Erkrankungen oder bei missglückten ambulanten Entzugsversuchen bedarf es dafür allenfalls einer stationären Behandlung. In diesen Fällen hat sich auch eine anschliessende stationäre Rehabilitation über 2-3 Wochen bewährt. Eine geeignete Rehabilitation erfordert ein MÜKS-spezifisches Behandlungsprogramm unter ärztlicher Leitung eines Kopfschmerzspezialisten.
Die Therapie beinhaltet evidenzbasierte Bausteine, idealerweise wird die interdisziplinäre Behandlung von gut geschulten und erfahrenen Therapeuten durchgeführt. Im Anschluss an die stationäre Therapie sollte die ambulante Weiterbehandlung durch einen Kopfschmerzspezialisten erfolgen. Hierdurch lassen sich das Risiko eines Rückfalls in einen erneuten Medikamentenübergebrauch vermindern und der Therapieerfolg langfristig sichern. Wird ein stationärer oder ambulanter Schmerzmittelentzug nicht toleriert oder gewünscht, kann eine ausschließliche medikamentöse und nicht-medikamentöse Prophylaxe-Therapie (s.o.) versucht werden mit optimalerweise alleine dadurch bedingtem deutlich vermindertem Schmerzmittel-Konsum. Sowohl der stationäre als auch der ambulante Schmerzmittel-Entzug sollte ebenso wie die isolierte Prophylaxe-Therapie ohne Entzug durch einen spezialisierten Neurologen geführt und begleitet werden.
Spannungskopfschmerz
Stellmes P / April 2020 (auf der Grundlage einer früheren Version Nater B, Sprenger T, Sandor P)
Der so genannte Spannungskopfschmerz gehört wie die Migräne zu den primären Kopfschmerzen, d.h. er hat keine identifizierbare Ursache. Obwohl er häufiger ist als die Migräne, gibt es weniger Studien über ihn.
Gemäss der internationalen Kopfschmerz-Klassifikation ICDH 3 Beta unterscheiden wir den sporadischen (< 12 d/ Jahr) sowie den häufig auftretenden (1-14d/ Monat) episodischen Spannungskopfschmerz vom chronischen Spannungskopfschmerz (>15d/ Monat). Häufige oder chronische Spannungskopfschmerzen vermindern entsprechend bereits durch die hohe Frequenz die Lebensqualität.
Der Schmerz ist meistens nicht pulsierend. Er wird beschrieben als eine Schwere oder ein Druck, und ist meistens beidseitig. Er ist weniger stark als der Kopfschmerz der Migräne und wird im Prinzip durch physische Aktivität nicht verstärkt. Übelkeit und Erbrechen sind nicht typisch. Diese charakteristischen Unterschiede erlauben es, Migräne und Spannungskopfschmerz zu unterscheiden, wobei Migränepatienten meist auch spannungskopfwehartige Episoden erleiden.
Besonders bei chronischem Spannungskopfschmerz ist es nötig, nach anderen Ursachen für die Kopfschmerzen zu suchen. Die Entstehungsmechanismen des Spannungskopfschmerzes sind nur wenig verstanden. Studien haben gezeigt, dass teilweise erhöhte Muskelspannung vorhanden ist, und in der chronischen Form besteht eine Sensibilisierung im zentralen Nervensystem. Im Gegensatz zur Migräne existieren wenig neue Medikamente.
Behandlung des episodischen Spannungskopfschmerzes (eSK)
Die Therapie des eSK besteht vor allem in der Behandlung von Schmerzspitzen einzelner Kopfschmerzattacken mit einfachen Analgetika, die nur einen Wirkstoff enthalten wie z.B. Paracetamol, ASS oder Ibuprofen. Sofern diese die Attacken nicht ausreichend durchbrechen können, kann auch ein Mischpräparat z.B. Paracetamol in Kombination mit Koffein eingesetzt werden. Es ist unbedingt auf einen restriktiven Schmerzmittel-Einsatz ausschliesslich bei starken Schmerzspitzen zu achten, um nicht einen zusätzlichen Medikamentenübergebrauchskopfschmerz (MÜKS) zu provozieren.
Bei häufig auftretenden eSK an der Grenze zum cKS können unterstützend auch nichtmedikamentöse Prophylaxe-Therapien wie physikalische Behandlungen/ medizinische Massagen, regelmässiges Ausdauertraining (z.B. Nordic Walking, Schwimmen, Jogging, Velofahren), Entspannungstherapien und Biofeedbacktherapie eingesetzt werden.
Behandlung des chronischen Spannungskopfschmerzes (cSK)
Ähnlich wie beim häufigen episodischen Spannungskopfschmerz (eKS) unterscheiden wir beim chronischen Spannungskopfschmerz (cKS) zwischen medikamentösen und nichtmedikamentösen Therapiemassnahmen.
Bei der medikamentösen Therapie sollte einerseits auf einen möglichst zurückhaltenden und gezielten Schmerzmittelgebrauch zur Vermeidung eines MÜKS geachtet werden (siehe Behandlung eKS). Andererseits ist der Einsatz einer Prophylaxe-Therapie zu empfehlen. Hierbei handelt es sich um schmerzmodulierende Antidepressiva, die bei guter Verträglichkeit und gewünschter Wirkung (Reduktion der Schmerzintensität und -frequenz um mind. 50%, konsekutive Reduktion des Analgetika-Konsums) über mind. 6 Monate eingenommen werden sollten. Die Wirksamkeit kann wegen der empfohlenen langsamen Ein- und Aufdosierung (mögliche Nebenwirkungen u.a. Müdigkeit, Mundtrockenheit und Gewichtszunahme) frühestens nach 4-6 Wochen beurteilt werden. Die beste Evidenz liegt für die trizyklischen Antidepressiva und hier v.a. für das Amitriptylin vor (Cave Kontraindikation bei Glaukom, Prostatahypertrophie mit Restharnbildung, AV-Block II und III, Herzinsuffizienz, Demenz vom Alzheimer-Typ).
Bei Unverträglichkeit oder vorliegender Kontraindikation kann alternativ ein schmerzmodulierendes Antidepressivum der neueren Generation wie z.B. Venlafaxin oder Mirtazapin eingesetzt werden, wobei hier die Datenlage deutlich schlechter ist. Ebenso gibt es positive Erfahrungen mit dem zur Migräneprophylaxe eingesetzten Topiramat (Wirkung i.d.R. erst ab dem 3. Monat) und mit dem Muskelrelaxans Tizanidin.
Eine Kombination der medikamentösen Prophylaxe mit nicht-medikamentösen Massnahmen erhöht die Wahrscheinlichkeit der gewünschten Schmerzreduktion im Vergleich zu einer isolierten medikamentösen Therapie.
An nicht-medikamentösen Therapien empfehlen sich Entspannungstherapien (z.B. progressive Muskelrelaxation nach Jacobson) und Biofeedback. Auch manuelle Therapien und medizinische Massagen können hilfreich sein, ebenso wie regelmässiges Ausdauertraining (z.B. Nordic Walking, Schwimmen, Jogging, Velofahren) und ein begleitendes kognitiv verhaltenstherapeutisches Stressmanagement.
Chirurgische und interventionelle Therapien bei primären Kopf- und Gesichtsschmerzen
Taub E, Gantenbein A, Sturzenegger M / Mai 2020
Zur Behandlung der Migräne und von Spannungskopfschmerzen steht zurzeit kein chirurgischer Eingriff zur Verfügung, dessen Wirksamkeit wissenschaftlich belegt ist. Insbesondere sind chirurgische Eingriffe im Nasen- und Nasennebenhöhlenbereich (endonasale Eingriffe), im Gesicht (Excision von Stirn- und anderen Kopfmuskeln, Zahnextraktionen), wie auch der Verschluss (endovasal oder chirurgisch) eines offenen Foramen ovales und Lasereingriffe am Auge bestenfalls experimentell und mit Komplikationsrisiken befrachtet. In Analogie zu den Richtlinien anderer internationaler Kopfschmerzgesellschaften raten wir von solchen Massnahmen generell ab.
- Injektionen mit Botulinustoxin haben einen günstigen Effekt bei chronischer Migräne mit oder ohne Medikamentenübergebrauch.
- Akupunktur zeigt eine vergleichbare Wirksamkeit wie Standardmedikamente oder „Scheinakupunktur“ in der Behandlung der Migräne.
- Für alle anderen interventionellen, auch komplementärmedizinischen, Massnahmen besteht bestenfalls ein Placeboeffekt.
Bei chronischen und therapierefraktären Clusterkopfschmerzen kann ein chirurgischer Eingriff erwogen werden. Die Indikation dazu muss interdisziplinär an einem spezialisierten (universitären) Zentrum evaluiert und gestellt werden. Es werden verschiedene Neurostimulationsverfahren zurzeit evaluiert (N. occipitalis-, Tiefenhirn- Stimulation oder Stimulation des Ganglion sphenopalatium).
Bei idiopathischer Trigeminusneuralgie ist bei ungenügender Medikamentenwirksamkeit oder inakzeptablen Nebenwirkungen ein neurochirurgischer Eingriff indiziert. Die verfügbaren, in ihrer Wirksamkeit bestätigten Methoden sind eine offene Operation am Trigeminusnerv bei seinem Ausgang vom Hirnstamm (die sog. mikrovaskuläre Dekompression nach Jannetta), verschiedene perkutane Eingriffe am Trigeminusganglion (Thermokoagulation, Glyzerolinjektion, Ballonkompression) und eine fokussierte Bestrahlung der Nervenaustrittszone (sog. Radiochirurgie).
Die geeignete Wahl unter diesen Behandlungsmethoden für die einzelne Patientin/den einzelnen Patienten ist jeweils mit der Neurochirurgin/dem Neurochirurgen zu besprechen.
Internationale Klassifikation orofazialer Schmerzen (ICOP), 1. Auflage
Internationale Klassifikation orofazialer Schmerzen (ICOP), 1. Auflage
Statement der SKG zur aktuellen Therapie mit CGRP-AK
Andreas R. Gantenbein, Christoph Schankin & Andreas Kleinschmidt
Seit mehr als 3 Jahren sind die monoklonalen Antikörper gegen CGRP und den CGRP-Rezeptor auf dem Markt, seit Kurzem wurde neben Erenumab, Galcanezumab und Fremanezumab auch die 4. Substanz Eptinezumab in der Schweiz zugelassen. Die Medikamente konnten nicht nur in den Zulassungsstudien, sondern auch in der klinischen Praxis zeigen, dass sie sicher und für viele Patientinnen und Patienten sehr wirksam sind. Vor allem wegen des hohen Preises gegenüber den bisherigen prophylaktischen Medikamente besteht eine Limitation (vgl. www.spezialitaetenliste.ch/ShowPreparations.aspx). Während die Zulassung der Swissmedic keine Vorgaben bezüglich der Migränefrequenz vorsieht, gilt die Zulassung im europäischen Raum (EMA) ab 4 Migränetagen pro Monat, die Kostenübernahme gemäss Limitatio jedoch erst ab mind. 8 Migränetagen pro Monat.
In Anbetracht der hervorragenden Verträglichkeit, auch in der Langzeitanwendung (>5 Jahre, Ashina M et al. Long-term efficacy and safety of erenumab in migraine prevention: Results from a 5-year, open-label treatment phase of a randomized clinical trial. Eur J Neurol 2021;28(5):171625) stellen die neuen Medikamente bereits jetzt eine wichtige Stütze in der Migränetherapie dar. Umso wichtiger erscheint es uns, dass die geeigneten Patientinnen und Patienten davon auch tatsächlich profitieren können, was bedeutet, dass bei einem Nichtansprechen auf eine der Substanzen ein Wechsel innerhalb der Substanzgruppe probiert werden sollte, wie dies auch bei anderen Substanzklassen, wie auch bei anderen Krankheitsbildern, üblich ist. Für den Nutzen einer solchen Vorgehensweise in der CGRP-Antagonisierung gibt es eine zunehmende Zahl an wissenschaftlichen Daten, aber auch klinischer Erfahrung aus dem Ausland, wo dies bereits möglich ist (Briceño-Casado MDP et al. Switching of monoclonal antibodies against calcitonin gene-related peptide in chronic migraine in clinical practice: a case series. Eur J Hosp Pharm 2021; Patier Ruiz I et al. Early Experiences in Switching between Monoclonal Antibodies in Patients with Nonresponsive Migraine in Spain: A Case Series. Eur Neurol 2021;10:1-4)
Aus den bisherigen Erfahrungen zeigt sich, dass die Therapie v.a. in den ersten Jahren der Behandlung wahrscheinlich vorwiegend symptomatisch und weniger krankheitsmodifizierend wirkt. Nach der erzwungenen Behandlungspause müssen mehr als 90% die Therapie wieder beginnen (Gantenbein AR et al. Impact on monthly migraine days of discontinuing anti-CGRP antibodies after one year of treatment - a real-life cohort study. Cephalalgia 2021;41(11-12):11816). Es erscheint uns deshalb auch aus (medizin-)ethischen Gründen fragwürdig, wenn die Patientinnen und Patienten jährlich wieder in diese Pause gedrängt werden müssen. Stattdessen könnten andere Wege, wie z.B. eine Vergrösserung der Dosierungsintervalle eingesetzt werden, um zu prüfen, ob die Therapie längerfristig ausgeschlichen werden kann.